Der goldene Greif
o ren, geheim und verborgen im Schatten zu leben. Kehrte ich jetzt zurück nach Ruwaria, dann unter dem Namen Neskon. Dies jedoch würde mich unweigerlich mit Konias zusammenfü h ren, denn er würde den bekannten Helden an seinen Hof holen wollen. Zwar habe ich mich stark verändert, aber vielleicht erkennt man mich doch. Ich fürchte den Tod nicht, wenn er mir auf dem Schlachtfeld begegnet, aber ich will nicht meuchlings ermo r det werden, weil ich die Stadt meiner Väter wiedersehen wollte.
Nein, ich bin nicht gekommen, um ein Heer von Euch zu erbitten, sondern einen Rat. Doch ich sehe, daß es für mich keinen Ausweg aus meiner trostlosen Lage gibt.“
„Halt, mein Junge! Nicht so voreilig!“ unterbrach Tamantes ihn. „Mit einem Rat kann ich dir vielleicht doch dienen. Aber befolgst du ihn, so muß es dir mit deinem Wunsch ernst sein, und dein Herz muß frei sein von jeder Hinterlist.“
„König Tamantes“, antwortete Raigo, „ich bin viele hundert Ken geritten, um der Heimat w e nigstens nahe zu sein. Weder die Unbill der Wildnis, noch Gefahr oder Not haben mich von meinem Weg abgebracht. Mehr als drei Monate war ich unterwegs durch wilde, unwe g same Lande, bedroht von Wegelagerern und den Launen des Wetters ausgesetzt. Selten nur konnte ich meine müden Glieder in einem Bett zur Ruhe legen und habe oft auf nac k tem Fels g e schlafen. Ich habe Ruhm und Ehre und die Gemeinschaft treuer Freunde gegen ein ungewi s ses Schicksal eingetauscht, für einen Blick über die Grenzen von Ruwarad. Und Ihr fragt, ob es mir ernst sei mit meinem Wunsch?“
„Nun gut, so höre!“ sprach Tamantes ernst. „Du kennst im Süden das mächtige Felseng e birge, das noch nie jemand überquert hat. Sein höchster Gipfel ist der „Thron der Götter“, wie er genannt wird. Noch nie hat jemand seine Spitze bestiegen, die selbst bei strahle n dem Sonnenschein immer mit grauen Wolken verhangen ist. Dort, wo die Schleier des N e bels die Schultern des Berges umarmen, wohnt in einer Grotte das Orakel des Gottes Mynthar, des Herrn des Schicksals. Wie dieses Orakel aussieht, darüber gibt es keine Ku n de.
Viele sind schon ausgezogen, das Orakel zu befragen, doch nur wenige sind zurückg e kehrt. Schon der Weg dorthin führt durch ödes, unwegsames Gelände, und nur auf gefäh r lichen Pfaden gelangt man tiefer ins Gebirge. In den Schluchten jener Region soll ein wilder Ber g stamm hausen, der den Zugang zum Orakel bewacht. Diese Wilden töten jeden, der zum Orakel zu gelangen versucht, ohne sich vorher einem Ritual, einer Art Gottesurteil zu unte r werfen. Erst, wer aus diesen Prüfungen unbeschadet hervorgeht, darf zum Heiligtum e m porsteigen. Was dann in den heil i gen Hallen des Orakels geschieht, weiß ich nicht, denn von denen, die darin waren, will keiner darüber berichten. Doch mancher kehrte auch als Wah n sinniger aus den Bergen zurück, der sich irgendwann mit eigener Hand tötete. Den wenigen jedoch, die unbeschadet blieben, war Rat und Hilfe geworden.
Wenn es also wirklich so ist, daß du in der Fremde nie mehr dein Glück finden kannst, sol l test du versuchen, das Orakel zu befragen. Glaubst du jedoch, daß es für dich auch noch einen anderen Weg gibt, dann meide diese Gefahr, denn von zehn, die es versuchen, kehrt nur einer glücklich zurück.
Du kannst hier bleiben, solange du willst, um einen Entschluß zu fassen. Gern darfst du auch für immer an meinem Hof leben. Solange niemand weiß, wer du bist, wirst du hier s i cher sein. Ich werde Lardar nach Ruwarad zurückschicken, denn ich bin nun nicht mehr g e willt, ihm Coriane zur Frau zu geben. Ich mußte diesem Wunsch von Konias nachgeben, denn eine Zurückweisung seiner Werbung für La r dar hätte ihn schwer gekränkt und den Frieden bedroht. Nun aber werde ich einen Grund finden müssen, diese Verbindung zu ve r meiden, die mir nie sehr angenehm war. Lardar war sowieso schon nicht nach meinem G e schmack, aber ich mußte mich der Vernunft beugen. Doch daß er nun auch noch der Sohn eines Thronräubers ist und obendrein noch von nicht sehr angenehmem Wesen, ist mehr, als ich in Corianes Interesse übersehen kann. Ich liebe sie wie eine Tochter, und mein B e schluß schmerzte mich schon sehr, da sie Lardar nicht mag und nur um meinetwillen z u stimmte. Doch das kann und will ich ihr nicht zumuten! Außerdem muß Lardar fort, damit er dich nicht vielleicht doch noch erkennt. Coriane wird überglücklich sein, wenn sie die Neui g keit
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