Der goldene Greif
Gefahr gebracht h a ben. Wie leicht konnte ein dummes Mißverständnis den Klang der Waffen in Eure gastliche Halle bringen! Ich bitte den edlen Neskon um Verzeihung für meine Wo r te. Doch er hätte sie vermeiden können, wäre er so höflich gewesen, sich vorz u stellen, als wir uns das erste Mal begegneten.“
„Bravo! Er hat gut gekontert!“ flüsterte Scharin Raigo zu. „Jetzt hat er den Spieß u m gekehrt und dir den schwarzen Peter zugeschoben.“
„Wir wollen den kleinen Zwischenfall vergessen“, lächelte Raigo. „Auch ich bitte den edlen Prinzen Lardar um Vergebung, daß ich ihm meinen Namen vorenthielt. Wir sind beide Gä s te von König Tamantes und wollen nun die gerühmte Tafel seines Hauses nicht länger wa r ten lassen wegen einer solchen B a gatelle.“
Dabei glich Raigos Blick jedoch dem eines Habichts, der die für sein Frühstück vorgeseh e ne Maus betrachtet, und Lardar wurde sich der Gefährlichkeit dieses Mannes noch deutl i cher bewußt.
Da die Höflinge einsahen, daß hier wohl kein Zweikampf mehr zu erwarten war, s a ßen bald alle um den langgestreckten Tisch und ließen sich das vorzüglich Mahl schmecken.
Lardar saß Raigo gegenüber an der Tafel. Neben ihm saß Coriane, die den ganzen Zw i schenfall mit viel geheimem Vergnügen beobachtet hatte. Da ihr Lardars Benehmen mißfa l len hatte, versuchte sie nun, ihn in Verlegenheit zu bringen, indem sie ihn zwang, das Wort an Raigo zu richten.
„Ich würde Euch gern um einen Gefallen bitten, Lardar“, raunte sie ihm zu. „Ich wüßte zu gern, was einen Mann wie Neskon hier zu uns führt. Aber Ihr wißt ja, daß es sich für mich nicht schickt, ihn einfach danach zu fragen. Gewiß wird mir zwar König Tamantes später d a von berichten, aber ich bin so neugierig, daß mir das zu lange dauert. Ihr aber seid Gast wie er und könnt ihn unbefangen danach fragen. Wollt Ihr mir diese Bitte erfüllen?“
Lardar wand sich wie ein Wurm, denn es war ihm sichtlich unangenehm, mit dem Mann sprechen zu müssen, dem er im Stillen Rache geschworen hatte. Aber er fand keinen Vo r wand, um Coriane ihren Wunsch abzuschlagen. So faßte er sich ein Herz und fragte spö t tisch über die Tafel hinüber:
„Sagt, Neskon, was für ein Begehr mag das sein, das einen so berühmten Helden ins friedl i che Imaran geführt hat? Sind alle Feinde Vangors erschlagen, so daß Ihr fürchten müßt, daß Euer Schwert rostig wird? Hier in Imaran werdet Ihr nicht viel Arbeit dafür finden, denn dieses Land lebt mit seinen Nachbarn in Frieden. Und e i nen Drachen, der Jungfrauen raubt, kann man Euch hier auch nicht bieten.“
Raigo spürte Lardars Spott, und blitzartig fuhr ihm ein Gedanke durch den Kopf, wie er den großmäuligen Vetter demütigen und auch vielleicht das Problem von dessen Abreise lösen könnte.
„Nein, Prinz Lardar“, antwortete er daher, „nicht wegen des Kampfes oder wegen der Dr a chen bin ich gekommen, sondern eher um der Jungfrauen willen. Zwar wollte ich zuerst K ö nig Tamantes von meinem Wunsch unterrichten, doch sehe ich nichts Schlechtes darin, wenn es alle erfahren.
So hört denn: Viele Wochen bin ich durch Gefahren und die rauhe Wildnis gereist - um eine Frau zu gewinnen, deren Schönheit die fahrenden Sänger am Hofe Vangors rühmten.“
Die Köpfe aller Anwesenden wandten sich bei diesen Worten neugierig Raigo zu. Wegen e i ner Frau? Die Sache versprach, interessant zu werden.
„Ja, wegen einer Frau!“ fuhr Raigo fort. „Und ich muß gestehen, daß keine Gefahr, keine Anstrengung zu groß war, jetzt, wo ich sie von Angesicht zu Angesicht ges e hen habe. Ich würde gern noch einmal so weit reisen, denn schon ihr Anblick hat mich für alle Strapazen aufs Höchste entschädigt. Ich bin gewiß, daß König Tama n tes meine Bitte um ihre Hand nicht abschlägig bescheiden wird, da ich ihr ebenbü r tig bin und sie noch unvermählt ist. Und ich bin bereit, mit jedem zu kämpfen, der mir die Hand dieser Frau streitig machen will.“ Er e r hob sich und wandte sich an Tamantes: „König Tamantes, hiermit erbitte ich von Euch die Hand der edlen Cori a ne!“
Lardar saß wie gefroren. Coriane errötete tief in freudigem Schrecken und zog i h ren Schleier vors Gesicht. Tamantes und Scharin waren aufgesprungen und starrten Raigo entgeistert an. Die Augen aller Hofleute aber richteten sich auf Lardar, denn jeder wußte ja, daß Cori a ne ihm zugesprochen war.
Jeder Tropfen
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