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Der goldene Greif

Der goldene Greif

Titel: Der goldene Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Galen
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Dienst für den Herrn der Götter auch ist, so ist es doch schwer für einen jungen Mann, all die Freuden zu entbehren, die er in unserer Mitte finden würde.“
     
    „Ja, du hast recht!“ sagte Raigo nachdenklich. „Es ist ein Menschenopfer, denn ein Mensch opfert ein Stück dessen, was ihm am kostbarsten ist: ein Stück von seinem Leben!“
     
    Zwischenzeitlich waren sie in der großen Halle angelangt, in der bereits an vielen Feuern die Wyranen mit ihren Familien saßen. Diesmal waren die Blicke, die sie Raigo zuwarfen, freundlicher als das erste Mal, wo er zu dieser Halle gebracht worden war. Die Leute wu ß ten, daß Huvran in Raigo etwas Besonderes sah und daß er ihn gern hatte. So hatten auch sie ihr Mißtrauen gegen den Fremdling abgelegt.
    Bearnir führte Raigo an das Feuer seiner Familie, und bald schon wurde der Gast in die U n terhaltung miteinbezogen, die Bearnir so gut es ging übersetzte. Raigo ging jedoch das O p fer nicht aus dem Sinn, und so fragte er Bearnir:
     
    „Was geschieht, wenn der Diener des Gottes krank wird oder stirbt?“
     
    „Vor Krankheit schützt ihn der Gott“, antwortete Bearnir, „und nur ein einziges Mal vor langer Zeit ist es geschehen, daß ein Priester Mynthars sein ganzes Leben auf dem Berg verbri n gen mußte. Da sandte Mynthar Botschaft, und ein anderer nahm den Platz des Verstorb e nen ein. Doch da hatte Mynthar ein Einsehen und änderte den Brauch, so daß nun keiner seiner Diener länger als fünfzehn Jahre für ihn o p fern muß. Dann löst ein anderer ihn ab, und er darf zurückkehren. Mein Vater selbst hat diese lange Zeit im Heiligtum verbracht. Das ist nun einmal der Preis, den wir für das sichere Leben unter des Gottes Schutz bezahlen müssen. Die Männer, die vom Heiligtum zurückkehren, sind die Priester unseres Volkes und werden ihr Leben lang geachtet und geehrt. Mein Vater ist der älteste von ihnen und wird daher von uns allen als Oberhaupt des Stammes betrachtet, obwohl wir keinen Her r scher haben wie ihr.“
     
    „Wie wird derjenige erwählt, der zum Diener des Gottes bestimmt ist?“ fragte Raigo weiter.
     
    „Alle Jünglinge im mannbaren Alter werfen das Los. Der Gott selbst lenkt die Hand dessen, den er sich erwählte, daß er das richtige zieht. Die Wahl ist schon gefallen, und mein Vater wird den jungen Mann weihen. Der morgige Tag ist dieser Feie r lichkeit vorbehalten. Wir alle werden daran teilnehmen, doch leider ist es keinem Fremden gestattet, dabei anwesend zu sein. So bist du morgen auf dich gestellt. Auch wirst du morgen nur Frühstück erhalten, d a mit dein Geist klar ist, wenn du am Abend in die Prüfung gehst. Wenn die Dämmerung he r einbricht, wird dich Hu v ran dann holen.“
     
    Raigo und Bearnir saßen noch lange am Feuer, als sich die meisten Wyranen schon z u rückgezogen hatten. Bearnir erzählte Raigo viel vom Leben in den Bergen, von alten Sagen und Überlieferungen und versuchte so, ihn von den bedrückenden G e danken an die Prüfung und von seiner Sorge um Ruwarad und Imaran abzulenken. Es ging schon auf Mitternacht zu, als er Raigo zu seiner Wohnung zurückbrachte.
     
    „Schlaf wohl!“ sagte Bearnir zum Abschied. „Nun werden wir uns erst wiedersehen, wenn du vom Orakel zurückkommst.“ Er ergriff Raigos Hand und drückte sie. „Ich wünsche dir viel Glück und werde Mynthar bitten, daß du die Prüfung bestehst und sein Spruch dir gnädig ist. Doch ich denke, daß der Gott dir wohlgesonnen ist, da er dir sein Roß sandte. Sorge dich daher nicht zu sehr, und vertraue auf seine Gnade.“
     
     
     
    9. Blick in den Abgrund
     
    Raigo schlief schlecht in dieser Nacht. Von Alpträumen gequält fuhr er immer wieder schweißgebadet von seinem Lager hoch. Als die erste Morgendämmerung den Himmel röt e te, stand er auf. Er fühlte sich zerschlagen und dachte mit Grauen an die endlosen Stunden des vor ihm liegenden Tages, wo nichts ihn von seinen ma r ternden Gedanken ablenken würde.
    Das Tal lag noch in tiefem Schatten, und von den Wiesen und über dem See stieg ein we i ßer Dunst auf, dessen feuchte Kühle Raigo frösteln ließ, als er vor die Tür trat. So holte er sich eine der wollenen Decken und schlug sie um seine Schultern. Er hätte zwar gern noch einige Stunden geschlafen, doch er wußte, daß er sich nur noch auf seinem Lager hin und her werfen würde, ohne Ruhe zu finden. So setzte er sich auf die steinerne Bank und sah zu, wie die aufgehende Sonne den Nebel mehr und mehr aufsog.
    Bald konnte

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