Der goldene Greif
Bearnir:
„Dies ist die Haut eines kleinen Nachtraubtiers, das hier überall in den Bergen lebt. Sie wird auf eine besondere Art gegerbt und bleibt stets geschmeidig. Und hier ist die Flüssigkeit und eine Feder, mit der du deine Botschaft schreiben kannst. Wenn du den Streifen dann eng aufrollst, paßt er genau in diese Kapsel, die Argin beim Fliegen nicht behindert wird.“
Raigo war erfreut und dankbar, daß seine Freunde sich schon am frühen Morgen mit seinen Problemen beschäftigt hatten. Er selbst hatte noch gar nicht darüber nachgedacht gehabt, auf welche Weise er Argin mit einer Nachricht versehen sollte.
So schrieb er nun seine Botschaft an Vangor nieder und rief dann nach Argin. W e nig später saß der Adler auf seinem Arm, und Raigo befestigte die Kapsel mit einem weichen Lede r band unter seinem Flügel. Raigo war gewiß, daß Phägor seinen Ziehbruder bereits mit se i ner Au f gabe vertraut gemacht hatte, denn als er dem Vogel nun den Auftrag gab, zu Vangor zu fli e gen, schaute ihn Argin so wissend an, als verstünde er jedes Wort. Zärtlich schmiegte der Adler noch einmal seinen Kopf in Raigos Hand, dann erhob er sich in die Lüfte. Einmal kre i ste er kurz über dem Tal, dann flog er über die Berge in nordwestlicher Richtung davon.
Auch für Raigo war nun die Zeit des Abschieds von den Wyranen gekommen. Da er bis zu den Grenzen von Cygon einen weiteren Weg zurückzulegen hatte als die M o radin, rechnete er sich aus, daß er etwa zur gleichen Zeit wie sie am Treffpunkt a n kommen würde. Argin würde für seinen Flug zu Vangor nur ein weniges der Zeit benötigen, die Raigo zu Pferd g e braucht hätte, denn kein Berg, kein Flußlauf war für den Vogel ein Hindernis.
So stand er dann, wohlversorgt mit Proviant, vor dem Eingang zu den Höhlen. Ahath schnaubte ungeduldig und trat von einem Fuß auf den anderen. Das Pferd spürte, daß es fortging, und es vermißte seinen Freund Argin.
Viele Wyranen waren gekommen, um Raigo Lebewohl zu sagen. Zuletzt reichte Hu v ran ihm die Hand und zog ihn ans Herz.
„Möge dein Unternehmen gelingen!“ sagte er warm. „Dann sehen wir uns vielleicht noch einmal wieder, bevor mich Mynthar zu sich ruft. Doch der Segen des Gottes begleitet dich, und so wird dir Erfolg beschieden sein, denn du bist ein Mann von großem Mut. Aber auch, wenn du unverrichteter Dinge zurückkehren müßtest, sollst du wissen, daß in unserer Mitte stets ein Platz für dich frei ist.“
Auch Raigo zog den Alten in die Arme. Dann drehte er sich rasch um , bestieg A hath und folgte dem jungen Wyranen, der ihn aus den Bergen hinausführen sollte. Einmal noch wan d te er sich um und hob die Hand zu einem letzten Abschiedsgruß. Dann entzog ihn eine Wegkrümmung den Blicken der Z u rückbleibenden.
11. Die Moradin
Woche um Woche folgte Raigo seinem Weg nach Nordwesten. Da Argin nicht bei ihm war, der ansonsten oft für sie beide jagte, kam Raigo nicht so schnell voran, wie er gehofft hatte. Da er weite Strecken durch unbewohntes Gebiet zurücklegen mußte, brauchte er manchmal viele Stunden, um sich den nötigen Proviant zu besorgen. Die von den Wyranen mitgeno m menen Lebensmittel waren rasch ve r braucht gewesen, denn da er kein Packpferd hatte, war die Last nicht groß, die A hath zusätzlich tragen konnte. Doch Raigo war das Reisen in der Wildnis gewohnt, und er war ein guter Jäger. Kam er einmal in ein Dorf oder eine Stadt, ve r sorgte er sich mit den nötigen Dingen, ließ sich Haar und Bart scheren und gönnte Ahath e i ne Nacht in einem warmen Stall und sich selbst ein weiches Bett. Er hatte bisher mit dem Wetter Glück gehabt, denn obwohl der Winter bereits hereinbrach, war der Himmel bis jetzt klar gewesen. Doch je weiter er nun nach Norden kam, desto kä l ter wurde es, und in den höheren Lagen hatte es schon leicht geschneit. Dankbar dachte Raigo an Huvran und Bea r nir, die ihm außer einer leichten Felldecke noch einen ledernen Umhang mitgegeben hatten, dessen dicke Pelzfütterung ihn zusät z lich vor der nächtlichen Kälte schützte und bei Tag angenehm warm um seine Schultern lag.
Eines Tages hielt er gegen Nachmittag auf der Kuppe eines Hügels und sah in der Ferne e i nen Flußlauf blinken, an dessen diesseitigen Ufer eine kleine Stadt lag. Im Umkreis der Stadt sah Raigo verstreute Gehöfte liegen. Erfreut klopfte er Ahath den Hals und sagte:
„Das muß der Than sein, Ahath! Und heute Abend sollst du wieder einmal guten
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