Der goldene Kelch
Platz bei den Bottichen.
Als ob nach Wochen der Finsternis endlich wieder die Sonne schien! Der Himmel strahlte, der sanfte Wind strich ihm zärtlich über die Wangen. Selbst die Öfen im Hof fand er schön, jeder Arbeiter im Goldhaus schien ihm ein geschickter und geistreicher Geselle zu sein. Überglücklich und überschäumend vor Energie machte er sich an seine Arbeit. Rekh beobachtete eine Weile, wie er zwischen Hof und Schuppen hin und her flitzte, bevor er ihn lächelnd ansprach:
„Wenn du in diesem Tempo weitermachst, wirst du den Tag nicht überstehen. Was ist denn in dich gefahren? Hast du Hummeln im Hintern?“
„Nein… nein, Meister, es ist… Es ist nichts.“ Ranofer wusste nicht, was er sagen sollte.
„Natürlich ist etwas! Aber ich will nicht neugierig sein. Mögen es die Götter weiterhin gut mit dir meinen, Kleiner, du hast lange genug gelitten. Aber lauf jetzt zu Aba, dem Töpfer, und hol einen neuen Tiegel; der hier ist kaputt. Und kauf auf dem Rückweg fünf Maß Soda. Morgen darfst du vielleicht wieder Goldblätter für ein Armband schlagen.“
Trunken vor Glück und mit fliegenden Schritten flitzte Ranofer durch die Totenstadt zu Abas Töpferei und von dort zu den Buden auf dem Marktplatz, wo die Händler Soda, Gewürze und Weihrauch verkauften. Mit diesen intensiven Düften in der Nase machte er sich auf den Rückweg. Da sah er Ibni direkt gegenüber aus einer Schänke kommen. Von plötzlicher und unbegründeter Panik ergriffen drehte Ranofer um und hechtete in eine Gasse. Bebend kauerte er sich in einer Ecke zusammen und wartete, bis der Babylonier verschwunden sein musste. Aber selbst dann traute er sich nicht in die Hauptstraße. Wie ein Gejagter schlich er durch die Gassen zurück zum Goldhaus.
Warum mache ich das eigentlich?, fragte er sich ärgerlich. Ich habe doch nichts von ihm zu befürchten. Er kann unmöglich wissen, dass ich ihn verraten habe, schließlich habe nicht ich mit Rekh gesprochen. Ibni weiß gar nichts! Rekh hat bestimmt so getan, als ob er alles selbst entdeckt hätte.
Sein Glücksgefühl war jedoch verflogen, denn Ibni war immer noch hier, hier in der Totenstadt. Dabei hatte Ranofer gehofft, er würde verschwinden, sich einfach in Luft auflösen. Auch Gebu war immer noch hier und freute sich mehr denn je seines Lebens. Das Nachspiel von Ibnis Entlassung stand Ranofer auch noch bevor. Ibni würde bestimmt zu Gebu gehen und ihm alles sagen, wenn er es nicht bereits getan hatte. Und Gebu würde kaum glauben, dass Ranofer nichts mit der Sache zu tun hatte.
Langsam schleppte sich Ranofer in die Straße zum Krummen Hund und versuchte, der Angst Herr zu werden, die ihn in Wellen überkam. Das Tor zu Gebus Hof stand offen, Fackeln flackerten im Hof, Ranofer hörte Gemurmel. Seine Füße wollten in die entgegengesetzte Richtung laufen, aber er hatte keine Wahl. Er trat ein.
Ibni und Gebu standen in der Mitte des Hofes. Gebu hielt eine Fackel; er streckte sie aus und blinzelte durch das gelbe Licht zu Ranofer. Als er ihn erkannte, grunzte er nur beiläufig und wandte sich wieder Ibni zu. „Du warst mir wirklich zu Diensten, aber jetzt kann ich dich nicht mehr brauchen. Begreifst du das denn nicht? Du musst einen anderen Auftraggeber finden.“
„Einen anderen? Aber wovon soll ich denn leben? Du hast mir schließlich versprochen – “
„Ich habe dir gar nichts versprochen! Verschwinde jetzt!“ Gebu ging ihm voraus zum Tor, aber Ibni klammerte sich an seinen Arm und jammerte verzweifelt weiter.
„Hast du doch! An jenem Abend in der Schänke, als wir unsere Abmachung trafen, hast du gesagt – “
„Ich habe gar nichts gesagt, nichts, an das ich mich erinnern könnte! Raus jetzt!“ Gebu stieß ihn so rüde von sich, dass Ibni auf den Boden fiel, und ging mit großen Schritten an Ranofer vorbei zum Tor. Er hielt die Fackel hoch und schaute erst in die eine, dann in die andere Richtung.
„Frag doch den Jungen!“, wimmerte Ibni. Offenbar hatte er Ranofer erst jetzt bemerkt. „Da ist er, frag ihn selbst!“ Er rappelte sich auf, rieb sich die Hände und stürzte mit seinem unterwürfigsten Lächeln auf Ranofer zu. „Du wirst doch dem alten Ibni helfen, nicht wahr? Du hast mich bestimmt heute vermisst und dich gefragt, wo ich bin. Rekh hat mich rausgeworfen. Irgendjemand hat mir üble Machenschaften unterstellt. Und ich kann nichts dagegen tun! Ich bin ein Ehrenmann, das war ich schon immer. Ich vertraue auf das Wort eines Mannes. Erinnere deinen verehrten
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