Der goldene Kelch
Ich habe doch nichts getan!“
Gebu warf ihm einen unwirschen Blick zu. „Du hast doch gehört, was der Babylonier gesagt hat. Es ist aus im Goldhaus. Und du weißt, dass ich etwas von dir haben will.“
„Aber ich verdiene doch Geld bei Rekh und das gebe ich dir! Warte doch, hör mich an! Bitte! Lass mich morgen noch einmal ins Goldhaus gehen, nur morgen! Rekh erwartet mich, er weiß doch nicht – “
„Ich habe ihm schon eine Nachricht geschickt. So, und jetzt geh mir aus dem Weg. Komm, Wenamun, wir sind spät dran!“
Er schubste Ranofer zur Seite, öffnete das Tor, hielt die Fackel hoch und ließ Wenamun vorbei. „Gebu! Nein! Bitte! Lass mich morgen zu Rekh gehen! Nur noch diesen einen Tag! Ich soll doch morgen Goldblätter schlagen.“
Das Tor schlug zu, das Licht der Fackel verschwand hinter der Mauer. Ranofer sank auf die Knie und brach in lautes Schluchzen aus.
Erst als der Mond schon hoch über dem Hof stand, kam Gebu nach Hause. Ranofer hatte sich im Schatten der Akazie zusammengekauert und auf ihn gewartet. Immer wieder hatte er vor sich hin gemurmelt, was er Gebu sagen würde. Nun war es so weit. Als Gebu das Tor verriegelt hatte und zur Stiege ging, kroch Ranofer aus dem dunklen Schatten und ging über den mondhellen Hof auf ihn zu.
„Hä? Göttin der Nacht! Was ist denn das?“, japste Gebu und wich zurück. Da sah er Ranofer und reckte sich. „Du bist das, du verfluchter Taugenichts! Was fällt dir ein, so auf mich zuzukommen? Ich dachte du bist ein Khefti!“
„Ich wollte mit dir sprechen. Bitte, hör mich an, Gebu!“
„So, so. Aber beeil dich! Ich bin müde, ich will schlafen.“
„Es ist… wegen der Lehre“, stammelte Ranofer und hielt den Atem an.
„Es gibt nichts mehr zu sagen. Morgen fängst du bei mir an. Ein Streit ist zwecklos.“
„Nein – ich meine, nein, ich will nicht mit dir streiten. Ich will… Ich habe einen Plan. Er wird dir gefallen“, fügte Ranofer schnell hinzu. Gebu murrte skeptisch, sagte aber nichts. „Du hast mich aufgenommen, als Vater zu den Göttern ging“, leitete Ranofer seine Rede vorsichtig ein, „hast mich aus… aus…“, er konnte das Wort kaum aussprechen; er schluckte, „aus reiner Herzensgüte aus der Gosse geholt. Wenn du mir nicht zu essen und ein Dach über dem Kopf gegeben hättest, müsste ich jetzt auf der Straße schlafen und mich mit den Hunden um Abfälle streiten. Stattdessen lebe ich jetzt sehr bequem von deinem Brot. Du hast für mich eine Arbeit gefunden, die mir gefällt, und hast mich nicht bei einem Fischhändler in die Lehre gegeben oder… oder mich zu dir in die Werkstatt genommen. Bis jetzt. Ich bin dir nur ein Klotz am Bein, ein großer Klotz, das hast du doch selbst immer gesagt, nicht wahr, Gebu?“, fragte Ranofer weinend. Seine Gefühle hatten ihn überwältigt; einen Moment lang wusste er nicht mehr weiter. „Was ich gesagt habe, ist doch wahr?“
„Und weiter?“
Ranofer schluckte und nahm all seinen Mut zusammen. Aus Angst, er würde nicht zu Ende reden können, stieß er in einem überbordenden Wortschwall hervor: „Deswegen möchte ich dir jetzt diesen Klotz vom Bein nehmen, ich gehe, werde nicht mehr von deinem Brot leben, nicht mehr in deinem Hof schlafen, baue mir in der Wüste ein kleines Haus, die Ziegel mache ich selbst, arbeite im Sumpf, schneide Papyrus, verkaufe ihn an die Seiler, kaufe mein eigenes Brot und meinen Fisch, du musst dich nicht mehr über mich aufregen, nie wieder. Es geht, das geht alles – ich werde dir nie wieder zur Last fallen –, wenn… wenn… Du musst mir nur einen Esel kaufen, einen ganz kleinen Esel, mit dem ich den Papyrus zu den Seilern bringen kann, es muss kein junger Esel sein, ein alter tut’s auch, ich zahl dir das Geld zurück, sobald ich welches verdiene, und – “ Gebu lachte. Er lachte erst leise schnaubend, dann lauter und lauter, bis er schließlich in schallendes Gelächter ausbrach, er krümmte sich vor Lachen, bog sich erst nach vorne, dann nach hinten, bis sein Kinn senkrecht zum Himmel stand. Der ganze Hof hallte von seinem brüllenden Lachen wider, sodass der Nachbar laut fluchend die Tür aufriss. Schwankend vor Lachen ging Gebu in sein Zimmer hinauf und ließ Ranofer im kalten Mondlicht stehen.
Die Tür schlug knarzend zu, das Gelächter erstarb. Ranofer drehte sich um und schleppte sich zur Akazie. Es hatte nicht geklappt. Ganz tief in seinem Innersten hatte er auch nicht wirklich geglaubt, dass es klappen
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