Der goldene Kelch
größtem Vergnügen auf die Zehen zu treten. Vor Wut schossen ihm die Tränen in die Augen. Er tappte blind weiter und wäre fast mit Heqet zusammengestoßen, der in einem Eingang weiter unten in der Straße der Goldschmiede gehockt und auf ihn gewartet hatte. Ohne etwas zu sagen, deutete Ranofer auf den Weinschlauch.
„Tja. Damit wäre unser Plan für morgen wohl im Eimer“, sagte Heqet betrübt.
„Alles ist im Eimer! Hier halte ich den Beweis in Händen, aber es nützt uns nichts. Jetzt müssen wir eine Ewigkeit warten, bis er wieder Gold in einem anderen Weinschlauch gesammelt hat!“
„Dann werden wir eben warten. Vier oder fünf Tage – darauf kommt’s doch jetzt auch nicht mehr an.“
„Wer weiß? Jedenfalls habe ich keine Lust zu warten.“
„Was sein muss, muss eben sein.“ Linkisch legte Heqet seine Hand auf Ranofers Schulter. „Keine Angst. Wir werden ihn schnappen – sagte die Schildkröte zur Schnecke.“
Ranofer versuchte, ein Lächeln aufzusetzen, aber dieses Mal fand er Heqets Scherz ziemlich unpassend. Mit dem verdammten Weinschlauch unterm Arm machte er sich auf den Heimweg. Gebu war laut, ausgelassen und bester Stimmung. Wenigstens würde er eine Zeit lang keine Prügel mehr beziehen, dachte Ranofer. Gebus Freund Wenamun mit den leisen Sohlen und dem schwarzen Umhang war da. Die beiden kamen gerade die Stiege herunter, als Ranofer den Hof betrat.
„Ha! Da ist ja unser kleiner Bote!“, grölte Gebu, als er den Weinschlauch sah. Zu Wenamun gewandt fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu: „Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig“, und brach in schallendes Gelächter aus. Bevor Ranofer sich noch fragen konnte, was das nun schon wieder zu bedeuten hatte, zitierte Gebu ihn mit herrischem Ton zu sich: „Komm, komm! Na, komm schon, Bote, liefere deine Ware aus und nimm deine Belohnung entgegen.“
Ranofer näherte sich ihm vorsichtig, gab ihm den Weinschlauch und sprang gleich wieder außer Reichweite von Gebus Fäusten. Er traute Gebus Belohnungen nicht. Aber Gebu nahm gar keine Notiz von ihm. Grinsend zeigte er Wenamun den Weinschlauch. „Ein Geschenk eines Freundes. Seine Frau macht den Wein selbst. Aus eigenem Anbau. Rührend, nicht wahr? Wie schade, dass wir ihn nicht trinken können!“ Ranofer schnaubte leise. Sonnenklar, dass Gebu bereits eine ziemliche Menge Wein getrunken hatte! Ranofer ging zur Vorratskammer, um zu sehen, ob es etwas zu essen gab.
„He, bleib da! Ich habe dir doch eine Belohnung versprochen!“, schrie Gebu.
„Die habe ich schon gestern bekommen“, brummte Ranofer.
„Allerdings! Aber ich wette, diese hier wird dir besser gefallen!“ Hinter Ranofer fiel etwas klirrend auf die Steinplatten. Erstaunt drehte er sich um. Eine Ringmünze aus Kupfer. „Na, was ist? Heb sie auf! Oder hast du Angst, es ist ein Skorpion? Kauf dir was zu essen! Man kann ja schon deine Rippen zählen! Aber trag erst den Weinschlauch in mein – “ Plötzlich hielt er inne und grinste Wenamun an. „Nein, das mache ich besser selbst.“
Gebu polterte die Stiege hinauf. Ranofer stand da, allein mit Wenamun. Er umklammerte die Kupfermünze, während Wenamun ihn mit seinen blauen Augen fixierte. Ranofer standen die Haare zu Berge. Die Zeit schien nicht vergehen zu wollen. Dann aber tauchte Gebu wieder auf; er sang aus vollem Hals. Ohne sich weiter um Ranofer zu kümmern, verließen die beiden den Hof und gingen in Richtung Hafen.
Ranofer verschwendete keine Zeit. Sobald Gebu um die Ecke gebogen und sein Gejohle verklungen war, schlüpfte Ranofer durchs Tor und rannte die Straße hinunter, um Gebus plötzliche Großzügigkeit gleich umzusetzen. Wenn er Glück hätte, würde Kai, der Bäckerjunge, noch ein paar Fladen übrig haben, und er könnte sich endlich einmal wieder richtig satt essen.
5
Gebus gute Laune hielt einige Zeit an, und wie immer während solcher Tage bekam Ranofer mehr zu essen. Sein Magen hörte auf zu knurren, seine Sorgen nagten jedoch weiter an ihm. Die ersten zwei Tage nahm er sich zusammen und wartete geduldig, dass sich die Goldklümpchen in Ibnis neuem Weinschlauch vermehrten, dann aber konnte er es nicht mehr erwarten, das vereinbarte Zeichen zu sehen, mit dem Heqet ihm zu verstehen geben würde, dass Rekh Bescheid wüsste und alles gut würde. Aber er wusste selbst, dass es noch zu früh war. Am vierten Tag vor der Mittagspause sah er Heqet schließlich an Rekhs Werkbank stehen; Heqet sah zu, wie Rekh eine Schale trieb, und flüsterte
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