Der goldene Kelch
kommen.“
„Wir können uns woanders treffen. Vielleicht heute nach der Arbeit. Ich komme, wohin du willst!“
„Das wäre möglich“, antwortete Ranofer. Ihm wurde erst jetzt klar, dass dem nichts im Wege stand. Dass Heqet und er in unterschiedlichen Werkstätten arbeiteten und unterschiedliche Handwerke erlernten, bedeutete noch lange nicht, dass sie sich nicht treffen konnten. „Ja, das ist sogar eine sehr gute Idee! Wo sollen wir uns treffen? Beim Landesteg der Fährboote?“
„Ja – oder besser noch hinten am Fischerkai. Du kommst doch wirklich?“
„Klar! Bis dann!“
Winkend ging Heqet ins Goldhaus, Ranofer rannte zurück zu seiner Rosengranitplatte. Der Gedanke, Heqet wieder zu sehen, ließ seine Füße leichter werden. Vielleicht könnten sie sich ja öfter sehen, vielleicht jeden Tag… Den ganzen Nachmittag über dachte er an nichts anderes als an das bevorstehende Treffen. Sobald das Tagwerk endlich getan war und er seinen Lohn im Gürtelband verstaut hatte, rannte er zum Fischerkai. Heqet hatte einen weiteren Weg. Ranofer musste eine Weile zwischen den großen Netzen warten, die auf dem Kai zum Trocknen ausgelegt waren. Dann aber sah er die vertraute Gestalt durch die Menschenmenge flitzen, die sich am Landesteg drängte. Heqet, der sehr viel wohlgenährter war als er selbst, rannte auf ihn zu. „Ich hatte schon Angst, du hättest dir’s anders überlegt“, keuchte Heqet und klopfte ihm fröhlich auf die Schulter. „Komm, lass uns woanders hingehen!“
„Im Dickicht am Fluss ist es kühl, außerdem sind wir dort ungestört“, schlug Ranofer vor. Unterwegs fragte er: „Sag mal, wieso dachtest du denn, ich hätte mir’s anders überlegt?“
„Weiß auch nicht… Du bist manchmal eben ein bisschen komisch.“ Heqet lächelte ihm von der Seite zu, Ranofer lächelte verlegen zurück und wusste nicht, was er sagen sollte.
Gleich bei den Blumenfeldern bogen sie von der Straße in einen gewundenen Pfad ab und folgten ihm ins Dickicht. Wie durch Arkaden gingen sie unter dem Laub der Sträucher hindurch, die angenehmen Schatten spendeten, der durch die hohen Schilfbüschel noch dichter wurde. Der kühle schlammige Untergrund tat ihren Füßen gut, die brannten vom heißen Lehm der Straße. „Ha! Ich höre gerade, wie meine Zehen sich zuflüstern, was ich für ein netter Bursche bin, sie hierher zu bringen“, sagte Heqet. „Schau mal, da ist ein schöner Platz zum Sitzen.“ Er deutete auf eine Stelle, wo die Gräser und Binsen niedergetrampelt waren und die nur durch einen Saum sich wiegender Binsen vom Pfad getrennt war; es sah aus wie ein kleines Nest. Heqet watete durch den wässrigen Schlamm, der unter seinem Schritt quatschte. Als er angekommen war, drehte er sich um und sagte mit einer einladenden Verbeugung zu Ranofer: „Komm in mein Lager – sagte der Pelikan zum Fisch.“ Grinsend folgte Ranofer der Einladung in die kühle, grüne Laube mit Wänden aus Schilfblättern, einer Tür aus Binsen und einem dicken, weichen Teppich aus federnden Gräsern. Es gab gerade so viel Platz, dass sie nebeneinander sitzen und die Beine ausstrecken konnten.
„So!“, sagte Heqet entschieden. „Jetzt erzähl mal von deiner Arbeit beim Steinmetz! Und zieh dich nicht wie eine Schildkröte in deinen Panzer zurück – es wird dir gut tun, laut zu sagen, wie sehr du diese Arbeit hasst. Fluch auch ruhig, wenn du willst, mir macht das nichts aus und außer mir hört dich hier ja keiner.“ Ranofer musste unweigerlich lachen; das Lachen löste einen Knoten in seinem Herzen. Danach fühlte er sich schon sehr viel besser. Es fiel ihm leicht, in Heqets Gegenwart aus sich herauszugehen, seine Schwermut war wie weggeblasen. Er fing an, von der Steinmetzwerkstatt zu erzählen, wo es laut, schmutzig und schrecklich war, vom Vorarbeiter, der herumschoss wie ein aufgescheuchter Wespenschwarm, von dem dummen, griesgrämigen Lehrjungen, der an der Stelle, wo sein Kopf sitzen sollte, einen Brocken Granit hatte. „Ah, das ist schon besser!“, sagte Heqet zufrieden. „Und was musst du dort machen? Steine behauen?“ Ranofer ließ seiner Enttäuschung über die stumpfsinnige Arbeit freien Lauf. Er erzählte Heqet, was er zu tun hatte und dass er seinen Kopf immer ganz bei der Sache haben musste, ganz egal, wie müde und gelangweilt er war.
„Sonst passiert das“, sagte er und streckte seine verbundenen Finger aus. „Und es könnte noch viel, viel schlimmer kommen! Djahotep, der Geselle, hat ganz
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