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Der goldene Kelch

Der goldene Kelch

Titel: Der goldene Kelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eloise Jarvis McGraw
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verstümmelte Hände. Oh, Heqet, wenn meine Hände auch so werden, kann ich nie wieder mit Gold arbeiten!“ Seine Stimme erstarb vor Entsetzen. Auch Heqets Stimmung war auf einmal ganz gedämpft. Er konnte seinen Blick nicht von den blutgetränkten Binden nehmen. „Willst du denn trotz allem eines Tages wieder mit Gold arbeiten?“, fragte er.
    „Natürlich!“ Ranofer warf ihm einen herausfordernden Blick zu. „Du denkst vielleicht, das kann ich nicht, aber ich werde einen Weg finden! Ich weiß sogar schon, wie. Ich habe nämlich einen Plan.“
    „Einen Plan? Erzähl!“
    „Ach, das ist jetzt nicht so wichtig.“ Ranofer wollte nichts von dem Esel und von dem kleinen Haus am Rande der Wüste erzählen, er wollte auch nicht sagen, dass er eines Tages Djaus Schüler sein würde. Alles klang so unwahrscheinlich, dass es besser war, nichts zu sagen – noch nicht. „Aber erzähl doch vom Goldhaus. Ist alles noch wie früher?“
    „Nein, wie könnte es? Ohne dich!“ Ranofer lächelte schief. „Natürlich! Sata, Geryt und die anderen weinen jeden Morgen um mich, bevor das Gold gewogen wird! Ist sonst alles beim Alten?“
    „Andere sind auch weggegangen. Ibni sind wir los – den Göttern sei Dank! Erinnerst du dich noch an Hotepek, den Schreiber? Er ging eine Woche vor der Erntezeit. Seine Tochter hat die Fallsucht. Er bringt sie immer nach Abydos zum hohen Priester des Ra. Rekh hat aus der Feilung ein kleines Amulett für sie gemacht, das die Priester besprechen können. Bis Hotepek wiederkommt, haben wir einen neuen Schreiber.“
    „Und du kannst inzwischen Draht ziehen? Und löten?“
    „Ich werd’s schon noch lernen – sagte der Hase, als er fliegen wollte.“ Heqet verzog das Gesicht. „Bis jetzt habe ich noch nichts zu Stande gebracht, was auch nur annähernd gehalten hätte. Aber das kommt bestimmt noch – nächste Woche, nächstes Jahr…“
    „Na, na! Meine Schatullen sind am Anfang auch immer wieder auseinander gefallen. Eines Tages halten sie, und dann ist alles gut.“
    „Hat dir dein Vater löten beigebracht?“
    „Ja. Aber das ist lange her, ich habe es bestimmt inzwischen verlernt. Und es wird noch lange dauern, bis ich wieder löten kann. Dieser verfluchte Gebu und seine Granitblöcke!“ Die beiden Jungen saßen eine Weile schweigend da, dann fügte Ranofer hinzu: „Aber lieber habe ich Gebu zum Meister als seinen Freund!“
    „Welchen Freund denn?“
    „Wenamun, den Maurer. Er kommt oft in die Werkstatt. Heute war er auch da. Er erinnert mich immer an einen Khefti.“
    Heqet runzelte die Stirn. „Wenamun“, wiederholte er nachdenklich. „Trägt er das ganze Jahr über einen langen Umhang?“
    „Ja, genau der!“
    „Ich habe ihn schon oft gesehen. Er wohnt in der Nähe des Lehrlingshauses. Wirklich ein unheimlicher Kerl! Aber der Mann, der ab und zu in seiner Begleitung ist, ist noch schlimmer – ein großer, breitschultriger Kerl mit grimmigem Blick und versteinerter Miene…“ Heqet hielt inne und blickte Ranofer fragend an. „Das ist Gebu.“
    Heqets Gesichtsausdruck änderte sich von einem Augenblick zum anderen. Er starrte Ranofer an, als würde er ihn zum ersten Mal sehen. Sein Blick war so voller Mitleid und Sorge, dass Ranofer rot wurde und schnell aufsprang.
    „Es ist schon spät, bald wird es dunkel.“
    „Warte!“ Heqet rappelte sich auf und blieb zögernd stehen, als wüsste er nicht, wie er sagen sollte, was er sagen wollte. „Ich dachte…“, begann er schließlich, „wenn wir uns öfter treffen könnten… abends oder auch mittags… dann könnte ich dir alles weitergeben, was ich im Goldhaus lerne und was du noch nicht weißt. So lernst du wenigstens theoretisch etwas dazu. Und wenn du dann eines Tages wieder zu Rekh kommst, musst du dich nur noch in der Praxis üben.“ Als ob die Sonne eine dichte Wolkendecke durchbrochen hatte! Ranofers Herz raste vor Freude. „Das wäre toll! Du lernst von Sata, und ich lerne von dir.“
    „Ja, das machen wir. Jeden Tag!“ Heqet war ganz aufgeregt. „Wir treffen uns immer hier. Wir könnten morgen mit unserem Mittagessen hierher kommen.“ Ranofer hatte nie ein Mittagessen. Um sich nicht noch mehr bloßstellen zu müssen, zog er sich wieder in seinen Panzer zurück. „Das geht nicht, ich weiß nicht, ob ich morgen wegkomme.“
    „Heute hast du’s doch auch geschafft“, erinnerte ihn Heqet.
    „Ja, aber…“
    „Sata hat gesagt, ich soll morgen Goldperlen machen. Kannst du das?“
    „Nein, aber…“

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