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Der goldene Kelch

Der goldene Kelch

Titel: Der goldene Kelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eloise Jarvis McGraw
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Fladen und ein paar Zwiebeln. Im Hinausgehen biss Ranofer in den Fladen und versuchte, die Bilder des großen Festes in den Straßen von Theben aus seinen Gedanken zu verdrängen, doch das Fest schien die einzige Gelegenheit zu sein, bei der er jemals wieder Honigkuchen bekommen würde.
    Er zwang sich, schnell über den Hof zu gehen, denn seine Füße wollten in die andere Richtung. Am Tor hielt er inne. Er hatte seine Hand schon fast am Riegel, da begann er am ganzen Körper zu zittern. Er lehnte seine Stirn gegen das abgeschabte Holz. Wenn ich doch ein anderer wäre!, dachte er. Heqet, der Alte, Kai, der Bäckerjunge, auch eine Katze oder ein Hund! Dann würde ich nichts von irgendwelchen Geheimnissen wissen. Ich würde zum Fest gehen, statt zu einem finsteren, fürchterlichen Grab.
    Aber er war kein anderer. Er war Ranofer, Sohn des Thutra. Er ehrte seinen Pharao und die Götter Ägyptens, und er wollte frei sein. Er holte tief Luft und öffnete das Tor.
    Gebus Schendjti schimmerte nur noch schwach am Ende der dunklen Straße. Ranofer wartete, bis er Gebu fast nicht mehr sehen konnte, bevor er dem verschwommenen hellen Fleck durch die verwinkelten Gassen der Totenstadt und über das karge Land, das sie umgab, folgte. Graues Dämmerlicht überzog langsam den Himmel und die Sterne gingen nacheinander unter. Als die ersten Strahlen der aufgehenden Sonnen die Wüstenberge rot färbten, hatte er die Stadt, das Fruchtland und den Wüstenstreifen hinter sich gelassen und schlich am Fuß des Gebirges hinter Gebu her, der plötzlich in einer Felsspalte verschwand. Kurze Zeit später stand Ranofer vor einem gewundenen Pfad, der die Felsen hinaufführte; er war mit Steinbrocken übersät und kaum zwei Ellen breit.
    Bebend und widerwillig folgte Ranofer dem Pfad. Durch die vielen Biegungen konnte er Gebu nicht gleichzeitig im Auge behalten und in sicherem Abstand folgen, denn die Felswände zu beiden Seiten waren bedrückend nah und glatt, es gab keine Nische, in der er sich hätte verstecken können.
    Er war um die siebte Kurve gebogen, da hörte er murmelnde Stimmen. Gebu war angekommen, Wenamun musste schon auf ihn gewartet haben. Oder war Gebu einem Grabwächter begegnet? Ranofer schlich ein Stück weiter und horchte.
    „… immer so ungeduldig bist! Hoffentlich bereuen wir diesen Tag nicht!“ Das war Wenamun. Gebu brauste gleich auf: „Unsinn! Wer sollte uns denn folgen? Auch die Wächter des Tals feiern in Theben.“ Wenamun murmelte Unverständliches, Gebu fuhr ihn an: „Idiot! Feigling! Geh doch zurück, wenn du keinen Mumm hast!“
    Ranofer erstarrte. Hinter der Biegung knirschten Steine unter einer Sohle. Er wirbelte herum und kletterte direkt an der Felswand hinauf, hielt sich an Rissen, Felsvorsprüngen und Grasbüscheln fest und wartete nur darauf, dass ihn plötzlich eine harte Hand am Schurz packen würde. Gerade in Manneshöhe oberhalb des Pfades war eine schmale Plattform über einem Felsvorsprung. Ranofer rollte sich zusammen und regte sich nicht. Da kam auch schon Wenamun mit flatterndem Umhang um die Ecke gebogen.
    Der Maurer blieb stehen. Seine unheimlichen blauen Augen suchten den Pfad ab – fast hätte er auch nach oben geblickt! Dann schlich er weiter. Er ging so dicht am Felsvorsprung vorbei, dass Ranofer seine schwarzen Haarsträhnen hätte greifen können. Er stieg hinunter zur nächsten Biegung, spähte wieder um die Ecke und horchte einen Augenblick, der nicht vergehen wollte, während Ranofer regungslos und schweißgebadet dalag wie auf einem Tablett. Dann aber drehte sich Wenamun um, ging zurück und verschwand zwischen den Felsen. Es dauerte eine Weile, bis Ranofer die Kraft fand, wieder auf den Pfad hinabzusteigen, fast hätten ihn seine Füße nicht mehr getragen. Mit schlotternden Knien zwang er sich, dem Pfad zu folgen, den Wenamun genommen hatte. Dass er ihn nicht gesehen hatte, grenzte an ein Wunder. Die Götter waren mit ihm.
    Hinter der nächsten Biegung kam der „Platz mit dem krummen Baum“ zum Vorschein, ein verkümmerter Baum mit dürren Ästen, der an einer Verbreiterung des schluchtartigen Pfades aus einer Spalte zwischen zwei Felsbrocken hervorwuchs. Gebus massiger Rücken und Wenamuns krummer Buckel verschwanden gerade hinter einem Grat über der zerklüfteten Wand, der höchsten Stelle des Wüstengebirges. Im Osten lag Theben zu beiden Seiten des schwellenden Flusses wie ein bunt gemusterter Teppich, der im Morgenlicht schillerte. Hinter dem Grat im Westen öffnete sich

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