Der goldene Kelch
Hund: ,Soll ich etwa ewig warten? Ich habe den Plan gemacht, also möchte ich jetzt meinen Anteil, bevor ich zu alt bin, um noch etwas davon zu haben. Wir gehen vor, wie abgemacht!’“
Ich muss mich zusammennehmen, dachte Ranofer. Ich muss mir irgendwas einfallen lassen, damit Heqet das alles schnell wieder vergisst! Aber was? Was nur? „Und dann?“, fragte er, so ruhig es ging. „Dann fragte Wenamun: ,Und wie geht es weiter?’ Zuerst habe ich nicht verstanden, was er damit meinte, aber dann hat Gebu gelächelt wie ein Teufel und hat gesagt: ,Darum habe ich mich gerade vor einer Stunde gekümmert. Setma ist nicht der einzige Fluss-Schiffer, das habe ich ihm damals auch schon gesagt.’“ Ranofer schluckte. „Weiter!“
„Das war’s. Gebu ließ Wenamun stehen und trampelte die Straße hinunter wie ein Elefant. Wenamun ist dann auch gleich verschwunden.“
Ranofer sagte nichts. Mit Mühe setzte er ein unbeteiligtes Gesicht auf, seine Gedanken flogen wie Pfeile durch seinen Kopf.
„Nun? Was hältst du davon?“, fragte Heqet. „Ich habe keine Ahnung, welchen krummen Baum Gebu meint. Wenn sie sich aber morgen treffen, so sollten wir ihnen folgen – “
„ – und das Fest versäumen?“
„Wir können später feiern, wenn wir herausgefunden haben, wohin sie gehen. Du willst es doch auch wissen!“
„Ich weiß nicht, ob das sinnvoll ist“, sagte Ranofer langsam. Dann plötzlich, aus der Not geboren, kam ihm eine Idee. „Gebu fährt morgen nach Abydos. Dorthin können wir ihm nicht folgen.“ Heqet zog eine Grimasse. „Nach Abydos?“
„Ja, ich habe gehört, wie er mit Pai darüber sprach.“
„Aber wie kann er dann… – Natürlich! Der krumme Baum ist dort! Wenamun geht also auch nach Abydos!“
„Das ist durchaus möglich.“
Ranofer knabberte an seinem Käse; er versuchte, eine nachdenkliche und enttäuschte Miene aufzusetzen, wich aber Heqets Blick aus. Heqet war eine Weile lang still, dann sagte er verwundert: „Komisch, dass sie hier in der Stadt ihre Pläne machen, wo jeder mithören kann, und nicht auf einem Boot nilabwärts.“
„Vielleicht nehmen sie verschiedene Boote.“ Woher nehme ich nur immer diese einleuchtenden Erklärungen?, fragte sich Ranofer angewidert. Ich lüge ja fast schon so gut wie der Babylonier! „Ja, so wird es sein.“ Auch Heqet schien nicht sehr zufrieden mit sich zu sein, hatte er doch das Naheliegende übersehen. „Natürlich fahren sie nicht zusammen, das könnte ja verdächtig wirken. Bestimmt tun sie in Abydos so, als kennen sie sich nicht. Mist! Wenn wir doch nur einen Bootsmann zum Freund hätten! Ich würde meinen neuen Schendjti dafür geben, sehen zu können, was sie da tun! Sicher ist morgen schon ein Goldschmied ärmer.“
„Da könntest du Recht haben.“ Ranofer seufzte. Es war ein Seufzer der Erleichterung, nicht der Enttäuschung, aber das musste Heqet ja schließlich nicht wissen. Auch Heqet seufzte, er stand auf. „Tja, tut mir Leid, aber wir können im Moment nichts tun. Dabei war meine Beschattung wirklich das Werk eines Meisterspions“, stellte er mit schiefem Grinsen fest. „Wir sehen uns morgen, wie ausgemacht. Das Fest wird uns trösten.“ Er hielt die Gräser auseinander und trat auf den Pfad, Ranofer folgte ihm. Der Käse hatte ihm nicht geschmeckt, das Fest war nicht mehr wichtig. Er wusste nur zu gut, dass nur eine Sache für Gebu die Aussicht auf Freibier ausstechen konnte: ein Grabschatz. Wenn Gebu und dieser Geier, der sich sein Freund nannte, freiwillig die Lustbarkeiten des morgigen Tages versäumten, so gingen sie bestimmt ins Tal der Könige – und dieses Mal am helllichten Tage, während ganz Theben im Festrausch war.
Ranofer war so durcheinander, dass er kaum merkte, was er den ganzen Nachmittag über tat. Nach der Arbeit irrte er durch die heißen Straßen, taub und blind gegenüber der Festtagsstimmung, die die Menschenmenge um ihn herum schon erfasst hatte. Er hatte keine Lust, nach Hause zu gehen; wo er sonst hingehen sollte, wusste er jedoch auch nicht. Schließlich landete er im Papyrussumpf. Er drückte die raschelnden Stauden zur Seite und watete durch kniehohes Wasser. Der Schlamm an den seichten Stellen war angenehm kühl und tat seinen nackten Sohlen gut, aber er konnte es kaum genießen. Vor seinem inneren Auge tauchte immer wieder das Bild des vertrauten, mumienförmigen Wüstengebirges und der roten Hügel auf, die das Tal der Könige umschlossen. Wie sollte er morgen feiern, wenn er bei jedem
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