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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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hatten, sah sie, weshalb: Auf Regalen an den Wänden standen Glasbehälter aufgereiht, in denen sich geisterhafte Wesen in Gestalt von Katzen, Vögeln, Ratten und anderen Tieren bewegten, alle zutiefst verstört, verängstigt und aschfahl: die Dæmonen der abgeschnittenen Kinder.
    Der Dæmon der Hexe stieß einen zornigen Laut aus, und Lyra drückte Pantalaimon an sich und sagte: »Sieh nicht hin! Sieh bloß nicht hin!«
    »Wo sind die Kinder dieser Dæmonen?« fragte der Gänsedämon. Er bebte vor Wut.
    Den Tränen nahe, erzählte Lyra von ihrer Begegnung mit dem kleinen Tony Makarios und sah dabei über die Schulter zu den armen, eingesperrten Dæmonen hin, die in ihren Behältern nach vorn gekommen waren und die bleichen Gesichter an die Scheiben preßten. Lyra hörte leise, qualvolle Schmerzensschreie. Im dämmrigen Licht einer schwachen anbarischen Birne sah sie, daß an der Vorderseite der Behälter Namensschilder angebracht waren, und wahrhaftig, da stand auch ein leerer Behälter mit dem Namen Tony Makarios. Es gab insgesamt fünf oder sechs leere Kästen mit Namensschildern.
    »Ich lasse diese armen Dinger frei!« sagte sie wild entschlossen. »Ich schlage die Scheiben ein und lasse sie hinaus…«
    Suchend sah sie sich nach einem geeigneten Werkzeug um, aber der Raum war völlig leer.
    »Warte«, sagte der Gänsedæmon.
    Er war nicht nur der Dæmon einer Hexe, sondern auch wesentlich älter und stärker als Lyra. Sie mußte tun, was er sagte.
    »Die Leute müssen glauben, jemand hätte vergessen, die Tür zu verriegeln und die Käfige zu schließen«, erklärte er. »Wenn sie Scherben und Fußstapfen im Schnee entdecken, erwischen sie dich schnell. Aber sie dürfen dir nicht auf die Spur kommen, bis die Gypter hier sind. Tu jetzt genau, was ich dir sage: Hole eine Handvoll Schnee, und wenn ich es sage, bläst du der Reihe nach ein wenig davon an jeden Käfig.«
    Lyra rannte hinaus. Roger und Billy standen noch Wache, und von dem großen Platz drang immer noch Geschrei und Gelächter herüber, denn in der Zwischenzeit war höchstens eine Minute vergangen.
    Lyra schaufelte sich die Hände voll Pulverschnee und kehrte in das Gebäude zurück, um zu tun, was die Gans gesagt hatte. Jedesmal, wenn sie etwas Schnee an einen Käfig blies, ließ die Gans ein schnalzendes Geräusch ertönen, und der Riegel an der Vorderseite der Behälter sprang auf.
    Als Lyra alle Käfige entriegelt hatte, hob sie die Klappe des ersten an, und die bleiche Gestalt eines Spatzen flatterte hinaus. Bevor der Spatz sich allerdings fangen und fliegen konnte, fiel er auf den Boden. Zärtlich beugte die Gans sich hinunter und stupste ihn mit dem Schnabel an, um ihn aufzurichten. Daraufhin verwandelte sich der Spatz in eine Maus, die verstört hin und her rannte. Pantalaimon sprang hinab, um die Maus zu beruhigen.
    Lyra beeilte sich, sosehr sie konnte, und innerhalb weniger Minuten waren alle Dæmonen befreit. Einige versuchten zu sprechen, sie scharten sich um ihre Füße oder versuchten sogar, an ihren Gamaschen zu zupfen, obwohl ein Tabu sie zurückhielt. Lyra verstand die armen Dinger; sie vermißten die Wärme und Geborgenheit ihrer Menschen und sehnten sich
    danach, sich an ein schlagendes Herz zu pressen. Pantalaimon wäre es nicht anders ergangen.
    »Nun aber schnell«, sagte die Gans. »Lauf wieder zu den anderen Kindern zurück, Lyra. Sei tapfer, Kind, die Gypter kommen, so schnell sie können. Ich muß jetzt diesen armen Dæmonen helfen, ihre Menschen wiederzufinden…« Sie kam näher und sagte leise: »Sie werden nie wieder mit ihnen eins werden. Sie sind für immer getrennt. Das ist wirklich die größte Schandtat, die ich je gesehen habe… Laß nur die Fußabdrücke, ich verwische sie schon. Beeil dich lieber…«
    »Bitte, noch eins, bevor du gehst! Die Hexen… Sie können doch fliegen, oder? Ich habe doch nicht geträumt, als ich sie neulich nachts fliegen sah?«
    »Ja, Kind. Warum?«
    »Könnten sie einen Ballon ziehen?«
    »Sicher, aber…«
    »Kommt Serafina Pekkala?«
    »Ich habe jetzt keine Zeit, um dir die Politik der Hexenvölker zu erklären. Dabei sind gewaltige Kräfte am Werk, und Serafina Pekkala muß die Interessen ihres Stammes wahren. Aber vielleicht ist das, was hier geschieht, ein Teil von dem, was anderswo geschieht. Jetzt lauf aber, Lyra, du wirst sicher schon vermißt. Lauf!«
    Lyra rannte los. Roger, der mit aufgerissenen Augen die bleichen Dæmonen aus dem Gebäude herausströmen sah, stapfte ihr

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