Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
Vom Netzwerk:
haßerfüllt, denn aus einem der Fenster blickte neugierig der schöne, von dunklem Haar umrahmte Kopf von Mrs. Coulter, und auf ihrem Schoß saß der goldene Affe.

Die silberne Guillotine
     
     
    Sofort zog Lyra den Kopf unter die schützende Kapuze aus Marderpelz und schob sich mit den anderen Kindern durch die Doppeltüren. Was sie sagen wollte, wenn sie Mrs. Coulter gegenüberstand, konnte sie sich später noch überlegen, zuerst mußte sie ein anderes Problem lösen: Wo konnte sie ihre Kleider aus Fell verstecken, damit sie nicht um Erlaubnis fragen mußte, wenn sie sie brauchte?
    Zum Glück herrschte im Haus, wo die Erwachsenen die Kinder zur Eile antrieben, um den Weg für die Passagiere aus dem Zeppelin frei zu machen, ein solches Durcheinander, daß niemand Lyra weiter beachtete. Sie schlüpfte aus Anorak, Gamaschen und Stiefeln, wickelte alles zu einem möglichst kleinen Bündel zusammen und drängelte dann durch die überfüllten Gänge zu ihrem Schlafsaal.
    Dort schob sie rasch einen Spind in die Ecke, stieg hinauf und drückte gegen die Zimmerdecke. Die Platte ließ sich anheben, genau wie Roger gesagt hatte, und Lyra schob Stiefel und Gamaschen in den Zwischenraum darüber. Sie überlegte kurz, dann nahm sie auch das Alethiometer aus dem Beutel, versteckte es in der innersten Tasche des Anoraks und stopfte beides in dieselbe Lücke.
    Sie sprang vom Spind herunter, rückte ihn wieder an seinen Platz zurück und sagte flüsternd zu Pantalaimon: »Wir stellen uns einfach dumm, bis sie uns sieht, und dann sagen wir, wir wären entführt worden. Und kein Wort über die Gypter und schon gar nicht über Iorek Byrnison.«
    Denn jetzt merkte Lyra, wenn sie es nicht schon die ganze Zeit gewußt hatte, daß ihre ganze Angst sich auf Mrs. Coulter richtete wie eine Kompaßnadel auf den Pol. Mit all den anderen Dingen, die sie gesehen hatte, war sie fertig geworden, sogar mit der unmenschlich grausamen Interzision, denn sie war stark. Doch jedesmal, wenn sie an das freundliche Gesicht und die sanfte Stimme dachte und sich den verspielten, goldenen Affen vorstellte, krampfte sich ihr Magen zusammen, und sie wurde blaß und hätte sich am liebsten übergeben.
    Aber die Gypter waren ja auf dem Weg hierher. Daran mußte sie denken. Und an Iorek Byrnison. Und sie durfte sich nicht verraten. Langsam ging sie zur Kantine zurück, aus der ihr schon von weitem Lärm entgegenkam.
    Die Kinder standen Schlange nach heißen Getränken, einige von ihnen noch in den Anoraks aus Kohleseide. Alle Gespräche kreisten um den Zeppelin und seinen Passagier.
    »Sie war es , ich habe sie erkannt… mit dem Affendæmon…« »Hat sie dich auch hergelockt?«
    »Sie hat gesagt, sie schreibt meiner Mum und meinem Dad,  aber ich wette, sie hat es nie getan…«
    »Daß Kinder umgebracht werden, hat sie nicht gesagt. Kein  Wort davon.«
    »Der Affe, der ist wirklich am schlimmsten… er hat meine  Karossa gefangen und hätte sie fast getötet… mir wurde ganz  schlecht…«
    Die Kinder hatten genauso viel Angst wie Lyra. Sie entdeckte  Annie und ihre Freundinnen und setzte sich zu ihnen an den  Tisch.
    »Hört zu«, sagte sie, »könnt ihr ein Geheimnis bewahren?« 
    »Klar!«
    Die drei blickten sie erwartungsvoll an.
    »Es gibt nämlich einen Fluchtplan«, sagte Lyra leise. »Und  zwar kommen ein paar Leute her, um uns zu befreien. Sie müß ten ungefähr in einem Tag hier sein, vielleicht auch schon frü her. Jedenfalls müßt ihr euch bereit halten. Sobald das Zeichen  gegeben wird, müssen alle sofort ihre Wintersachen holen und  rausrennen. Ihr dürft dann nicht mehr warten und rumstehen,  sondern müßt gleich losrennen. Aber ihr braucht unbedingt  eure Anoraks und Stiefel, sonst kommt ihr in der Kälte um.« 
    »Was für ein Zeichen?« fragte Annie.
    »Der Feueralarm, wie heute nachmittag. Es ist alles organisiert. Wir müssen allen Kindern Bescheid sagen, aber so, daß es  die Erwachsenen nicht erfahren. Vor allem darf sie es nicht wissen.«
    Die Augen der Mädchen leuchteten vor Hoffnung und Aufregung. Nach und nach verbreitete sich die Nachricht in der  ganzen Kantine, und Lyra spürte deutlich, wie die Stimmung  umschlug. Draußen hatten die Kinder noch ausgelassen  gespielt, und dann waren sie, kaum daß sie Mrs. Coulter gesehen hatten, vor unterdrückter Angst und Hysterie ganz außer  sich gewesen; jetzt dagegen machten sie einen gefaßten und  entschlossenen Eindruck. Lyra staunte, was Hoffnung alles 

Weitere Kostenlose Bücher