Der Goldene Kompass
erschöpft, allem überdrüssig und traurig bis ins Mark, daß der Tod eine Erlösung gewesen wäre. Aber das Beispiel Ioreks hinderte sie daran, das zuzugeben. Sie steckte das Alethiometer ein und setzte sich auf.
»Wann wird sie hier sein?« fragte Iorek.
»In wenigen Stunden. Ich denke, ich sollte Lord Asriel das Alethiometer so schnell wie möglich bringen.«
»Ich komme mit«, sagte Iorek.
Lyra widersprach nicht. Während Iorek Befehle erteilte und eine bewaffnete Truppe zusammenstellte, die sie auf dem letzten Teil ihrer Reise in den Norden begleiten sollte, saß sie ganz ruhig da und versuchte, ihre Kräfte zu sammeln. Sie hatte das Gefühl, daß das Lesen des Alethiometers sie ihre letzte Kraft gekostet hatte. Dann machte sie die Augen zu und schlief ein, doch schon wenig später wurde sie geweckt, und sie brachen auf.
Lord Asriels Willkommen
Lyra ritt auf einem starken jungen Bären, neben ihr Roger auf einem anderen, während Iorek unermüdlich vorauslief und eine mit einem Feuerwerfer bewaffnete Truppe die Nachhut bildete.
Der Weg war lang und beschwerlich. Das Innere von Svalbard war gebirgig, mit schroffen Gipfeln und zerklüfteten Bergkämmen, durchschnitten von tiefen Schluchten und steilen Tälern, und die Kälte war ungeheuerlich. Sehnsüchtig dachte Lyra an die weich dahingleitenden Schlitten der Gypter auf dem Weg nach Bolvangar; wie schnell und bequem ihr diese Art zu reisen jetzt erschien. Hier war die Luft noch eisiger als alles, was sie je erlebt hatte; oder vielleicht war auch nur der Bär, auf dem sie ritt, nicht so leichtfüßig wie Iorek, oder sie war einfach vollkommen erschöpft und ausgelaugt. Jedenfalls war die Reise furchtbar anstrengend.
Lyra wußte weder, in welcher Richtung ihr Ziel lag, noch, wie weit es weg war. Sie wußte nur, was der alte Bär Sören Eisarson ihr erzählt hatte, als sie den Feuerwerfer für die Reise vorbereitet hatten. Eisarson hatte an den Verhandlungen mit Lord Asriel über die Bedingungen seiner Haft teilgenommen und erinnerte sich noch lebhaft daran.
Zuerst, sagte er, hätten die Bären von Svalbard keinen Unterschied zwischen Lord Asriel und den anderen Politikern, Königen und Unruhestiftern festgestellt, die auf ihre öde Insel verbannt wurden. Solche Gefangenen seien immer wichtig, sonst hätten ihre Landsleute sie gleich umgebracht; sie könnten eines Tages also auch für die Bären wichtig werden, wenn ihr politisches Schicksal umschlug und sie in ihren Ländern wieder an die Macht kamen. Es konnte sich für die Bären also auszahlen, sie nicht grausam oder verächtlich zu behandeln.
Deshalb hatte Lord Asriel auf Svalbard weder schlechtere noch bessere Bedingungen angetroffen als Hunderte Verbannte vor ihm. Bestimmte Umstände hatten allerdings dazu geführt, daß seine Wächter bei ihm wachsamer waren als bei anderen Gefangenen. Eine Aura des Geheimnisvollen und spirituell Verderblichen umgab alles, was mit Staub zu tun hatte; auf den Gesichtern derer, die Lord Asriel gebracht hatten, hatte ganz deutlich Panik gestanden; und schließlich gab es noch die privaten Gespräche von Mrs. Coulter mit Iofur Raknison.
Außerdem hatten die Bären noch nie jemanden mit Lord Asriels hochmütigem und gebieterischem Wesen kennengelernt, gegen das sogar Iofur Raknison nicht angekommen war. Nachdrücklich und sprachgewandt hatte Lord Asriel den Bärenkönig dazu überredet, ihn selbst entscheiden zu lassen, wo er wohnen wollte.
Die ihm zuerst zugewiesene Wohnung liege zu tief, hatte er gesagt. Er brauche eine hochgelegene Wohnung über dem Rauch und dem Lärm der Feuerminen und Schmieden. Er zeichnete den Bären auf, wie die Wohnung aussehen sollte, und sagte ihnen, wo sie liegen sollte. Dann bestach er sie mit Gold und schmeichelte und drohte Iofur Raknison so lange, bis die Bären verwirrt gehorchten und sich an die Arbeit machten. Schon bald erhob sich auf einer nach Norden gerichteten Landzunge ein großes, festes Haus mit offenen Kaminen, in denen in großen Stücken die von den Bären geförderte und herbeigeschaffte Kohle brannte, und mit großen Fenstern aus echtem Glas. Dort residierte er, der Gefangene, wie ein König.
Und dort ging er daran, ein Laboratorium zusammenzustellen.
Mit verbissenem Eifer bestellte er Bücher, Instrumente, Chemikalien und die verschiedensten Werkzeuge und sonstigen Ausrüstungsgegenstände. Und irgendwie hatte er alles bekommen, aus den verschiedensten Quellen, zum Teil offen, zum Teil eingeschmuggelt von
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