Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
Vom Netzwerk:
bespritzte den Schnee meterweit mit Blut.
    Iofurs Zunge quoll rot über die aufgerissene Kehle. Auf einmal war der Bärenkönig stumm, hilflos und konnte nicht mehr beißen. Darauf hatte Iorek gewartet. Er machte einen Satz nach vorn und grub seine Zähne in Iofurs Kehle. Er schüttelte ihn hierhin und dorthin, hob den gewaltigen Körper auf und schmetterte ihn zu Boden, als sei Iofur ein Seehund.
    Dann riß er seinen Kopf nach oben, und Iofur Raknison hauchte unter dem Biß seiner Zähne sein Leben aus.
    Noch ein letztes Ritual mußte vollzogen werden. Iorek schlitzte die ungeschützte Brust des toten Königs auf und zog das Fell zurück, bis man die dicht nebeneinander liegenden weißen Rippen sah wie die Spanten eines umgekippten Bootes, Iorek faßte in die Rippen, riß Iofurs rotes, dampfendes Herz heraus und verschlang es an Ort und Stelle, vor Iofurs Untertanen.
    Dann ertönte Beifallsgeschrei. Ein Höllenlärm entstand, und die Bären stürzten nach vorn, um Iofurs Bezwinger ihre Ehrerbietung zu erweisen.
    Iorek Byrnison erhob seine Stimme über den Lärm.
    »Bären! Wer ist euer König?«
    Die Antwort war ein Schrei wie das Donnern sämtlicher Brandungen an allen Stranden der Welt in einem Orkan.
    »Iorek Byrnison!«
    Die Bären wußten, was sie jetzt zu tun hatten. Sie entledigten sich sofort sämtlicher Abzeichen, Schärpen und Krönchen, trampelten verächtlich mit den Füßen darauf herum und hatten sie im nächsten Moment schon vergessen. Sie waren jetzt Ioreks Bären, und zwar richtige Bären, keine Möchtegernmenschen, die sich immer ihrer Minderwertigkeit bewußt waren. Sie strömten zum Palast und begannen, von den Türmen große Marmorblöcke herunterzuwerfen, und sie rüttelten mit ihren mächtigen Tatzen an den zinnengekrönten Mauern, bis sich die Steine lösten, und schleuderten sie dann über die Klippen hinunter, wo sie auf der Anlegestelle einige hundert Meter tiefer auftrafen.
    Iorek beachtete sie nicht weiter, sondern hakte seinen Panzer los, um sich die Wunden zu lecken. Doch noch bevor er das tun konnte, war Lyra neben ihm, stampfte mit dem Fuß auf dem gefrorenen, tiefroten Schnee auf und rief den Bären zu, sie sollten aufhören, den Palast einzureißen, weil sich drinnen Gefangene befänden. Die Bären hörten sie nicht, wohl aber Iorek, und als er einen Befehl brüllte, hielten die Bären mit ihrem Zerstörungswerk sofort inne.
    »Menschen?« fragte er.
    »Ja… Iofur Raknison hat sie ins Verließ geworfen… man muß sie befreien und woanders hinbringen, so werden sie durch die herunterfallenden Steine getötet.«
    Iorek gab schnell entsprechende Anweisungen, und einige Bären eilten in den Palast, um die Gefangenen freizulassen. Lyra wandte sich Iorek zu.
    »Laß mich dir helfen… lieber Iorek, hoffentlich bist du nicht zu schlimm verletzt… oh, wenn ich doch wenigstens etwas zum Verbinden hätte! Der Schnitt auf deinem Bauch sieht ja schrecklich aus…«
    Ein Bär legte einen Mundvoll eines steifgefrorenen grünen Zeugs auf den Boden vor Ioreks Füßen.
    »Blutmoos«, sagte Iorek. »Lege es für mich auf die Wunden, Lyra. Dann lege die Haut darüber zusammen und halte Schnee darauf, bis es gefroren ist.«
    Bären ließ er nicht an sich heran, auch wenn sie beflissen ihre Hilfe anboten. Außerdem hatte Lyra geschickte Hände, und sie wollte unbedingt helfen. Das kleine Mädchen beugte sich also über den großen Bärenkönig, häufte das Blutmoos auf seine Wunden und kühlte das rohe Fleisch, bis es aufhörte zu bluten. Als sie fertig war, waren ihre Fäustlinge blutgetränkt, doch Iorek blutete nicht mehr.
    Inzwischen waren die Gefangenen herausgekommen — ein zitterndes Häuflein von Männern, die verwirrt um sich sahen. Es hatte keinen Zweck, mit dem Professor zu reden, dachte Lyra, denn der Arme war ja verrückt. Zwar hätte sie gern gewußt, wer die anderen waren, aber es gab so viele wichtige Dinge zu tun. Und sie wollte Iorek nicht stören, der in rascher Folge Befehle erteilte und Bären hierhin und dorthin schickte. Sie hatte Angst um Roger und Lee Scoresby und um die Hexen, und sie war hungrig und müde… Vielleicht war es das Beste, im Moment nicht im Weg herumzustehen.
    In einer ruhigen Ecke des Kampfplatzes rollte sie sich zusammen; Pantalaimon hatte sie sich als Marder wärmend um die Schultern gelegt. Dann deckte sie sich mit Schnee zu, wie es die Bären taten, und schlief ein.
    Jemand berührte sie am Fuß, und eine fremde Bärenstimme sagte: »Lyra Listenreich,

Weitere Kostenlose Bücher