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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Lord Asriel hat eine ganz besondere Art, sich zu beschaffen, was er braucht, er verlangt es einfach und schon…«
    In Lyras Kopf brach ein Aufruhr los, als ob sie versuchte, etwas, das sie wußte, aus ihrem Bewußtsein zu verdrängen.
    Sie stieg aus dem Bett und wollte nach ihren Kleidern greifen, als sie plötzlich zusammenbrach und sich ihr ein wilder Schrei der Verzweiflung entrang. Zwar war es Lyra, die schrie, aber der Schrei war größer als sie, gleichsam als schreie die Verzweiflung selbst. Ihr waren Lord Asriels Worte eingefallen: Die Energie, die Körper und Dæmon verbindet, ist ungeheuer stark, und um die Kluft zwischen den Welten zu überqueren, brauche man einen ungeheuren Schub an Energie…
    Sie hatte soeben gemerkt, was sie getan hatte.
    Sie hatte sich bis hierher durchgekämpft, um Lord Asriel etwas zu bringen, und hatte geglaubt, zu wissen, was er brauchte. Dabei war es überhaupt nicht das Alethiometer. Lord Asriel brauchte ein Kind.
    Sie hatte ihm Roger gebracht.
    Deshalb hatte er, als er sie gesehen hatte, geschrien: »Ich habe nicht nach dir geschickt!« Er hatte nach einem Kind geschickt, und das Schicksal hatte ihm die eigene Tochter gebracht. Das hatte er zumindest geglaubt, bis sie zur Seite getreten und sein Blick auf Roger gefallen war.
    Lyra litt Seelenqualen. Sie hatte Roger retten wollen, dabei hatte sie die ganze Zeit alles getan, ihn zu verraten…
    Sie zitterte und schluchzte, rasend vor Schmerz. Es durfte nicht wahr sein.
    Thorold versuchte, sie zu trösten, aber er kannte den Grund ihrer Qual nicht und konnte ihr nur nervös die Schulter tätscheln.
    »Iorek…«, schluchzte sie und stieß den Diener zur Seite. »Wo ist Iorek Byrnison? Der Bär? Ist er noch draußen?«
    Der alte Mann zuckte hilflos die Schultern.
    »So hilf mir doch!« schrie sie, zitternd vor Schwäche und Angst. »Hilf mir beim Anziehen. Ich muß weg. Bitte! Mach schnell!«
    Thorold stellte die Lampe ab und tat, wie ihm geheißen. Wenn Lyra in diesem gebieterischen Ton Befehle erteilte, war sie auch mit tränennassem Gesicht und zitternden Lippen ihrem Vater sehr ähnlich. Während Pantalaimon mit dem Schwanz heftig auf den Boden schlug und sein Fell geradezu Funken sprühte, brachte Thorold Lyra eilends ihre steifen, stinkenden Pelze und half ihr beim Anziehen. Sobald alle Knöpfe zu und alle losen Enden festgesteckt waren, ging Lyra zur Tür und öffnete sie. Die Kälte traf ihren Hals wie ein Schwert, und die Tränen auf ihren Wangen gefroren sofort.
    »Iorek!« rief sie. »Iorek Byrnison! Komm her, denn ich brauche dich!«
    Im Schnee schüttelte sich etwas, Metall klapperte, und der Bär stand vor ihr. Er hatte seelenruhig unter dem fallenden Schnee geschlafen. Im Licht der Lampe, die Thorold ans Fenster hielt, sah Lyra den langen Kopf mit den dunklen Augenhöhlen und einen Schimmer weißen Fells unter dem rot-schwarzen Metall, und sie hätte Iorek am liebsten umarmt und sich trostsuchend an ihn gedrückt, an seinen eisernen Helm und sein vereistes Fell.
    »Also?« sagte er.
    »Wir müssen hinter Lord Asriel her. Er hat Roger mitgenommen und will… ich kann gar nicht daran denken — Iorek, ich flehe dich an, mach ganz schnell!«
    »Steig auf«, sagte er, und sie sprang auf seinen Rücken.
    Er brauchte nicht zu fragen, welche Richtung er einschlagen sollte: Schlittenspuren führten schnurgerade aus dem Hof und über die Ebene, und Iorek begann ihnen nachzutraben. Lyra hatte sich seine Bewegungen inzwischen so sehr zu eigen gemacht, daß sie ganz automatisch das Gleichgewicht hielt. Schneller als je zuvor rannte Iorek über die dicke Schneedecke, die den felsigen Grund bedeckte, und die Platten seines Panzers verschoben sich unter Lyra im regelmäßigen Rhythmus seiner großen Schritte.
    Hinter ihnen folgten leichtfüßig die anderen Bären mit dem Feuerwerfer. Der Weg lag deutlich vor ihnen, denn der Mond stand hoch am Himmel, und das Licht, mit dem er die verschneite Landschaft übergoß, war hell und tauchte die Welt in glänzendes Silber und tiefes Schwarz. Die Schlittenspuren liefen geradewegs auf eine Kette wildgezackter Berge zu, merkwürdiger, spitz zulaufender Formen, die so schwarz wie das Samttuch des Alethiometers in den Himmel schnitten. Von dem Schlitten selbst war nichts zu sehen — oder bewegte sich ganz in der Ferne an der Flanke des höchsten Berges etwas? Angestrengt starrte Lyra geradeaus, und Pantalaimon flog, so hoch er konnte, und spähte mit den scharfen Augen einer Eule in dieselbe

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