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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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wir sie doch herein und besprechen das mit ihr«, sagte er.
    Er ging aus dem Zimmer, und als er wenige Augenblicke später mit Mrs. Coulter zurückkehrte, war Lyra aufgestanden, weil sie vor Aufregung nicht mehr sitzen konnte. Mrs. Coulter lächelte, und ihr Dæmon entblößte seine weißen Zähne zu einem koboldhaften Grinsen. Als Mrs. Coulter auf dem Weg zum Sessel an Lyra vorbeikam, strich sie ihr kurz über die Haare, und Lyra spürte, wie es sie warm durchlief, und wurde rot.
    Der Rektor schenkte Mrs. Coulter ein Glas Branntwein ein, dann sagte sie: »Dann bekomme ich also eine Assistentin, Lyra, ja?«
    »Ja«, sagte Lyra nur. Sie hätte zu allem ja gesagt.
    »Es gibt viel Arbeit, für die ich Hilfe brauche.«
    »Ich kann viel arbeiten!«
    »Und vielleicht müssen wir auch reisen.«
    »Das macht mir nichts. Ich komme überallhin mit.«
    »Aber es könnte gefährlich sein. Vielleicht müssen wir in den Norden.«
    Lyra war sprachlos. Schließlich fand sie ihre Stimme wieder. »Bald?«
    Mrs. Coulter lachte und sagte: »Möglich. Aber du wirst sehr hart dafür arbeiten müssen. Du mußt Mathematik, Navigation und Himmelsgeographie lernen.«
    »Werden Sie mich unterrichten?«
    »Ja. Und du wirst mir bei meinen Aufzeichnungen helfen, meine Unterlagen für mich ordnen, verschiedene grundlegende Berechnungen anstellen und so weiter. Und wir werden einige wichtige Leute besuchen, wir müssen also ein paar schöne Kleider für dich kaufen. Du mußt eine Menge lernen, Lyra.«
    »Das macht nichts. Ich will alles lernen.«
    »Natürlich willst du das. Wenn du nach Jordan College zurückkommst, wirst du eine berühmte, weitgereiste Frau sein. Morgen müssen wir in aller Frühe aufbrechen, mit dem ersten Morgenzeppelin, deshalb gehst du jetzt besser gleich ins Bett. Dann also bis zum Frühstück. Gute Nacht!«
    »Gute Nacht«, sagte Lyra. An der Tür fiel ihr eine der wenigen Umgangsformen ein, die sie gelernt hatte, und sie drehte sich noch einmal um. »Gute Nacht, Rektor.«
    Er nickte. »Schlaf gut.«
    »Und danke«, fügte Lyra an Mrs. Coulter gewandt hinzu.
     
     
    Sie schlief dann schließlich doch ein, obwohl Pantalaimon erst Ruhe gab, als sie ihn anfuhr, worauf er sich gekränkt in einen Igel verwandelte. Es war noch dunkel, als jemand sie wach rüttelte.
    »Lyra — pst! — erschrecke nicht — wach auf, Kind.«
    Es war Mrs. Lonsdale. In der Hand eine Kerze, stand sie über Lyra gebeugt und sprach ruhig auf sie ein, während sie sie zugleich mit ihrer freien Hand festhielt.
    »Hör zu. Der Rektor will dich sprechen, bevor ihr mit Mrs. Coulter frühstückt. Steh schnell auf und renn zu ihm hinüber. Geh in den Garten und klopfe an die Terrassentür des Arbeitszimmers. Hast du verstanden?«
    Hellwach und verwirrt nickte Lyra und schlüpfte barfuß in die Schuhe, die Mrs. Lonsdale vor sie hinstellte.
    »Du brauchst dich nicht zu waschen — das reicht später noch. Geh gleich runter und komm sofort wieder. Ich packe inzwischen deine Sachen und lege dir Kleider hin. Jetzt mach schnell.«
    Der Hof lag dunkel da. Die Nachduft war kühl, und am Himmel waren noch die letzten Sterne zu sehen, aber im Osten über dem Speisesaal kündigte bereits ein heller Schein den Morgen an. Lyra rannte in den Garten hinter der Bibliothek. Dort blieb sie einen Augenblick stehen, sog die tiefe Stille um sich ein und sah zu den steinernen Fialen der Kapelle, der perlmuttgrünen Kuppel des Sheldon-Gebäudes und der weiß gestrichenen Laterne der Bibliothek hinauf. All das mußte sie jetzt verlassen. Ob sie es sehr vermissen würde?
    Hinter dem Fenster des Arbeitszimmers bewegte sich etwas, und einen kurzen Augenblick drang ein Lichtschein nach außen. Lyra fiel ein, warum sie gekommen war, und sie klopfte leise an die Glastür. Die Tür ging fast sofort auf.
    »Gutes Kind«, sagte der Rektor. »Komm schnell rein, wir haben nicht viel Zeit.« Sobald sie hineingeschlüpft war, zog er die Vorhänge wieder vor die Tür. Er war vollständig angezogen, wie üblich in Schwarz.
    »Reise ich doch nicht ab?« fragte Lyra.
    »Doch, ich kann es nicht verhindern«, erwiderte der Rektor, und Lyra fiel in ihrer Aufregung gar nicht auf, wie seltsam diese Worte waren. »Lyra, ich gebe dir jetzt etwas, aber du darfst niemandem davon erzählen. Versprichst du mir das ganz fest?«
    »Ja«, sagte Lyra.
    Er ging zum Schreibtisch und nahm aus einer Schublade ein kleines, in schwarzen Samt gewickeltes Päckchen. Er wickelte es aus, und zum Vorschein kam ein

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