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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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lächelte, als sie Lyra sah.
    »Ja, Lyra«, sagte sie, »ich muß dir so viel zeigen! Zieh den Mantel aus und komm mit ins Bad. Dort kannst du dich waschen, und dann essen wir etwas und gehen einkaufen…«
    Das Badezimmer war ein weiteres Wunder. Lyra war es gewohnt, sich mit harter, gelber Seife zu waschen, an einem zerkratzten Waschbecken, aus dessen Hähnen bestenfalls lauwarmes Wasser kam, oft braun vor Rost. Hier dagegen war das Wasser heiß, die Seife rosarot und duftend und die Handtücher dick und flauschig. Um den Spiegel aus Rauchglas liefen kleine rosa Lämpchen, so daß Lyra jedesmal, wenn sie hineinsah, in dem weichen Licht ein Gesicht erblickte, das der Lyra, die sie kannte, überhaupt nicht ähnelte.
    Pantalaimon, der Mrs. Coulters Dæmon nachahmte und sich in einen Affen verwandelt hatte, hockte auf der Kante des Waschbeckens und schnitt Grimassen. Lyra schubste ihn in das seifige Wasser, und dann fiel ihr plötzlich das Alethiometer in ihrer Manteltasche ein. Sie hatte den Mantel auf einem Stuhl im anderen Zimmer liegenlassen. Dabei hatte sie dem Rektor versprochen, das Instrument auch vor Mrs. Coulter geheimzuhalten…
    Alles war so verwirrend! Mrs. Coulter war so nett und klug, wohingegen Lyra mit eigenen Augen gesehen hatte, wie der Rektor versucht hatte, ihren Onkel zu vergiften. Wem schuldete sie mehr Gehorsam?
    Sie trocknete sich hastig ab und eilte ins Wohnzimmer zurück. Natürlich lag ihr Mantel noch unberührt an derselben Stelle.
    »Fertig?« fragte Mrs. Coulter. »Ich schlage vor, wir essen im Royal Arctic Institute zu Mittag. Ich bin eines der ganz wenigen weiblichen Mitglieder des Instituts, ich kann meine Privilegien also ruhig einmal in Anspruch nehmen.«
    Ein zwanzigminütiger Spaziergang brachte sie zu einem Gebäude mit einer imposanten steinernen Fassade. Dort saßen sie in einem weitläufigen Speisesaal, dessen Tische mit schneeweißen Tischtüchern und glänzendem Silber gedeckt waren, und aßen Kalbsleber und Speck.
    »Gegen Kalbsleber ist nichts einzuwenden«, sagte Mrs. Coulter, »und auch nicht gegen Seehundleber. Aber wenn du in der Arktis Hunger hast, darfst du auf keinen Fall Bärenleber essen. Die ist so giftig, daß du in wenigen Minuten daran stirbst.«
    Während des Essens machte Mrs. Coulter Lyra auf einige Institutsmitglieder an den anderen Tischen aufmerksam.
    »Siehst du den älteren Herrn mit der roten Krawatte? Das ist Colonel Carborn. Er war der erste, der mit einem Ballon über den Nordpol geflogen ist. Und der große Mann am Fenster, der gerade aufsteht, ist Dr. Broken Arrow.«
    »Ist er ein Skräling?«
    »Ja. Er hat die Meeresströmungen im Großen Nordmeer vermessen…«
    Lyra sah sie sich mit einer Mischung aus Neugier und Ehrfurcht genau an, die großen Männer. Natürlich waren sie Wissenschaftler, aber zugleich Entdecker. Dr. Broken Arrow wußte das mit der Bärenleber sicher auch, während Lyra bezweifelte, daß der Bibliothekar von Jordan College es wußte.
    Nach dem Essen zeigte Mrs. Coulter Lyra einige der wertvollen arktischen Exponate der Institutsbibliothek die Harpune, mit der man den legendären Wal Grimssdur getötet hatte, den Stein mit der Inschrift in einer unbekannten Sprache, den man in der Hand des einsam in seinem Zelt erfrorenen Entdeckers Lord Rukh gefunden hatte, und den Feuerschläger, den Captain Hudson auf seiner berühmten Reise nach Van-TierensLand benutzt hatte. Zu jedem Gegenstand erzählte Mrs. Coulter die entsprechende Geschichte, und Lyras Herz schlug höher, wenn sie an die tapferen Helden jener fernen Welt dachte.
    Dann gingen sie einkaufen. Alles an diesem außergewöhnlichen Tag war neu für Lyra, aber das Einkaufen war der Höhepunkt. In ein riesiges Kaufhaus voller schöner Kleider zu gehen, die man alle anprobieren durfte und wo man sich im Spiegel ansehen konnte… Und ein Kleid schöner als das andere… Bisher hatte immer Mrs. Lonsdale Lyras Kleider ausgesucht, Kleider, die oft gebraucht und vielfach geflickt waren. Lyra hatte fast nie etwas Neues bekommen, und wenn doch, dann weil es praktisch war, nicht weil es gut aussah. Selbst hatte sie nie auswählen dürfen. Und jetzt zeigte ihr Mrs. Coulter dies und lobte das und zahlte für alles und mehr…
    Als sie fertig waren, war Lyra rot im Gesicht und hatte glänzende Augen vor Müdigkeit. Mrs. Coulter ließ die meisten Kleider einpacken und nachschicken und nahm nur ein, zwei Dinge gleich mit.
    Zurück in der Wohnung, folgte ein Bad mit dickem, duftendem Schaum.

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