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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Gegenstand, der aussah wie eine große Armbanduhr, eine dicke Scheibe aus Messing und Kristall. Es hätte ein Kompaß oder etwas Derartiges sein können.
    »Was ist das?« fragte sie.
    »Ein Alethiometer, eins der sechs, die je gemacht wurden. Lyra, ich bitte dich noch einmal: Sage niemandem etwas davon. Auch Mrs. Coulter darf nichts davon wissen. Dein Onkel…«
    »Aber wozu ist das gut?«
    »Es sagt dir die Wahrheit. Wie man es liest, mußt du allerdings selbst herausfinden. Jetzt geh — draußen wird es hell — geh schnell in dein Zimmer zurück, bevor dich jemand sieht.«
    Er faltete den Samt wieder über dem Instrument zusammen und drückte es Lyra in die Hand. Es war erstaunlich schwer. Dann nahm er ihr Gesicht in beide Hände und hielt es einen Augenblick sanft fest.
    Sie versuchte, zu ihm aufzusehen und fragte: »Was wolltest du über Onkel Asriel sagen?«
    »Dein Onkel hat das Alethiometer vor einigen Jahren dem College geschenkt. Vielleicht hat er…«
    Bevor er den Satz beenden konnte, ertönte ein leises, aber dringliches Klopfen an der Tür. Lyra spürte, wie seine Hände unwillkürlich zuckten.
    »Schnell jetzt, Kind«, sagte er ruhig. »Die Mächte dieser Welt sind stark. Männer und Frauen sind Gezeiten ausgeliefert, die viel gewaltiger sind, als du dir vorstellen kannst, und ihr Sog zieht uns alle in die Strömung hinein. Leb wohl, Lyra, und alles Gute, Kind, alles Gute. Paß auf dich auf.«
    »Danke, Rektor«, sagte sie artig.
    Das Päckchen an die Brust gedrückt, verließ sie das Arbeitszimmer durch die Gartentür. Als sie sich noch einmal kurz umdrehte, saß der Dæmon des Rektors auf dem Fenstersims und blickte ihr nach. Draußen wehte ein frischer Luftzug.
    »Was hast du da?« fragte Mrs. Lonsdale und drückte den ramponierten kleinen Koffer mit einem Klicken zu.
    »Das hat der Rektor mir gegeben. Paßt es nicht mehr in den Koffer?«
    »Zu spät, ich mache ihn jetzt nicht mehr auf. Steck es in die Manteltasche, egal, was es ist. Und jetzt marsch in den Speisesaal. Laß die anderen nicht warten…«
     
     
    Erst später, nachdem sie sich von den wenigen Dienern, die schon auf waren, und von Mrs. Lonsdale verabschiedet hatte, fiel ihr Roger ein. Sie bekam ein schlechtes Gewissen, weil sie seit der Begegnung mit Mrs. Coulter kein einziges Mal an ihn gedacht hatte. Wie schnell alles passiert war.
    Und jetzt war sie auf dem Weg nach London, auf einem Fensterplatz im Zeppelin, und Pantalaimons Hermelinpfoten mit ihren scharfen kleinen Krallen bohrten sich in ihre Schenkel, während er die Vorderpfoten an die Scheibe stützte, um hinauszusehen. Auf der anderen Seite von Lyra saß Mrs. Coulter. Sie las zunächst noch in einigen Papieren, legte sie allerdings bald weg, um sich mit Lyra zu unterhalten. Wie brillant sie redete! Lyra war wie berauscht.
    Diesmal war das Thema nicht der Norden, sondern London mit seinen Restaurants und Ballsälen, den abendlichen Empfängen in Botschaften und Ministerien und den Intrigen zwischen White Hall und Westminster. All das faszinierte Lyra fast noch mehr als die Landschaft, die unter ihnen dahinglitt. Was Mrs. Coulter sagte, war so erwachsen, so aufregend und verlockend zugleich; aus ihren Worten sprach der Glanz der großen Welt.
     
     
    Dann die Landung in Falkeshall Gardens, die Fahrt mit dem Boot über den breiten, braunen Fluß, das imposante Gebäude am anderen Ufer mit dem livrierten Pförtner, der Mrs. Coulter grüßte und Lyra zuzwinkerte, die sprachlos zu ihm hinaufstarrte…
    Und dann die Wohnung…
    Lyra schnappte nach Luft.
    Sie hatte in ihrem kurzen Leben schon viele schöne Dinge gesehen, aber es war immer die Schönheit von Jordan College, von Oxford gewesen — großartig, steinern und männlich. In Jordan College war zwar vieles prächtig, aber nichts hübsch. In Mrs. Coulters Wohnung war dagegen alles hübsch. Die Zimmer waren lichtdurchflutet, denn die breiten Fenster gingen nach Süden, und die Wände waren mit feinen, gold-weiß gestreiften Tapeten bedeckt. Dazu kamen wunderschöne Bilder in goldenen Rahmen, ein antiker Spiegel, originelle Wandlampen mit anbarischen Birnen unter fransengesäumten Schirmen, Kissen, die ebenfalls mit Fransen besetzt waren, Volants mit Blumenmustern über den Gardinenstangen und auf dem Boden ein lindgrüner Teppich mit Blattmuster. Und auf jeder verfügbaren freien Fläche, so schien es Lyras unschuldigem Auge, standen verspielte kleine Kästchen, Schäferinnen und Harlekins aus Porzellan.
    Mrs. Coulter

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