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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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ein Kompaß nach dem Norden. Damit ist er zwar gescheitert, aber der von ihm erfundene Mechanismus reagierte ganz eindeutig auf irgend etwas, wenn auch niemand wußte, was das war.«
    »Und woher stammen die Symbole?«
    »Oh, aus dem siebzehnten Jahrhundert. Damals gab es überall Symbole und Sinnbilder. Man sollte Bauwerke und Bilder wie Bücher lesen können. Alles stand gleichzeitig für etwas anderes; mit dem richtigen Wörterbuch konnte man selbst die Natur deuten. Deshalb ist es eigentlich nicht verwunderlich, daß Philosophen damals auch Erkenntnisse, deren Ursprung ihnen unerklärlich war, mit solchen Symbolen deuten wollten. Aber seit ungefähr zwei Jahrhunderten verwendet man diese Symbole eigentlich nicht mehr.«
    Er gab Lyra das Instrument zurück. »Darf ich dich etwas fragen? Wie liest du es ohne das Buch der Symbole?«
    »Ich konzentriere mich einfach, und dann ist es irgendwie so, als würde man ins Wasser schauen. Die Augen müssen die richtige Ebene finden, auf der sie scharf sehen. Oder so ähnlich.«
    »Ob du mir das wohl einmal vormachen könntest?«
    Lyra sah Farder Coram an. Sie hätte sofort zugestimmt, wollte aber sein Einverständnis abwarten. Der alte Mann nickte.
    »Was soll ich fragen?«
    »Was haben die Tataren mit Kamtschatka vor?«
    Das war nicht schwer. Lyra richtete die Zeiger auf das Kamel, das Asien und damit die Tataren symbolisierte, auf das Füllhorn, das für Kamtschatka mit seinen Goldminen stand, und auf die Ameise, die Geschäftigkeit verkörperte, die wiederum Absichten und Pläne symbolisierte. Dann saß sie ganz ruhig da, konzentrierte sich auf alle drei Bedeutungsebenen zugleich und öffnete sich der Antwort, die beinahe umgehend eintraf. Die lange Nadel zuckte zu den Symbolen Delphin, Helm, Kleinkind und Anker und tanzte zwischen ihnen und dem Tiegel in einer komplizierten Folge hin und her, der Lyras Augen ohne zu zögern folgten, die für die beiden Männer aber unverständlich blieb.
    Nachdem die Nadel die Bewegungen mehrere Male vollführt hatte, sah Lyra auf. Sie blinzelte ein- oder zweimal, als erwache sie aus einer Trance.
    »Sie werden einen Angriff vortäuschen, aber nicht wirklich angreifen, denn Kamtschatka ist viel zu weit weg, und sie wären zu weit verstreut.«
    »Erklärst du mir, woran du das abliest?«
    »Am Delphin. Eine seiner tieferen Bedeutungen ist das Spielen im Sinn von Verspieltheit oder Schabernack«, erklärte Lyra. »Daß diese Bedeutung gemeint ist, erkenne ich daran, wie oft die Nadel an dieser Stelle stehenbleibt und daß ich nur diese Bedeutungsebene scharf sehen kann. Der Helm bedeutet Krieg, und beides zusammen bedeutet Krieg vortäuschen, ohne ihn wirklich vorzuhaben. Das kleine Kind steht für Schwierigkeiten; es wäre zu schwer für die Tataren, Kamtschatka anzugreifen, und der Anker sagt auch, weshalb: Ihre Reihen wären dann so auseinandergezogen und gespannt wie eine Ankerkette. Ich sehe das einfach so, verstehen Sie?«
    Dr. Lanselius nickte.
    »Bemerkenswert«, sagte er. »Ich bin dir sehr dankbar und werde das nicht vergessen.«
    Er warf Farder Coram einen sonderbaren Blick zu, dann wandte er sich wieder an Lyra.
    »Darf ich dich um noch eine Demonstration bitten?« fragte er sie. »Im Hof hinter dem Haus hängen Wolkenkiefernzweige an der Wand. Einen von ihnen hat Serafina Pekkala benutzt. Kannst du herausfinden, welchen?«
    »Na klar!« meinte Lyra, immer bereit anzugeben, und nahm das Alethiometer und stürmte hinaus. Sie konnte es kaum erwarten, Wolkenkiefern zu sehen, denn die Hexen benutzten sie zum Fliegen, und sie hatte noch nie zuvor welche gesehen. Als sie fort war, fragte der Konsul: »Wissen Sie eigentlich, wer dieses Kind ist?«
    »Sie ist die Tochter von Lord Asriel«, antwortete Farder Coram. »Und ihre Mutter ist Mrs. Coulter von der OblationsBehörde.«
    »Und weiter?«
    Der alte Gypter mußte den Kopf schütteln. »Nein«, sagte er, »mehr weiß ich nicht. Aber sie ist ein seltsames unschuldiges Wesen, und ich möchte um nichts in der Welt, daß ihr etwas zustößt. Wie sie es schafft, dieses Instrument zu lesen, ist mir ein Rätsel, aber ich glaube ihr, was sie sagt. Warum fragen Sie, Doktor Lanselius? Wissen Sie mehr?«
    »Die Hexen sprechen seit Jahrhunderten von diesem Mädchen«, sagte der Konsul. »Sie leben ganz in der Nähe des Ortes, an dem die Welten nur durch einen dünnen Schleier voneinander getrennt sind, und hören deshalb manchmal jenes ewige Raunen, das von den Stimmen der Wesen herrührt, die

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