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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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auf ihn zu, und der Mann machte die Tür erschrocken wieder zu. Der Bär steckte eine Tatze durch den Griff des Kruges und hob ihn zum Mund. Lyra konnte den unverdünnten Schnaps riechen, der dabei herausspritzte.
    Nachdem der Bär einige Schlucke getrunken hatte, setzte er den Krug ab und wandte sich, anscheinend ohne Farder Coram und Lyra weiter zu beachten, wieder seiner Keule zu. Doch dann sprach er erneut.
    »Was ist das für eine Arbeit, die ihr mir anbietet?«
    »Wahrscheinlich Kämpfen«, sagte Farder Coram. »Wir fahren nach Norden, um einige Kinder zu suchen, die dorthin entführt worden sind. Wenn wir sie finden, müssen wir wahrscheinlich kämpfen, um sie zu befreien; anschließend bringen wir sie zurück.«
    »Und was bezahlt ihr?«
    »Ich weiß nicht, was wir dir anbieten können, Iorek Byrnison. Wenn du Gold willst, wir haben Gold.«
    »Interessiert mich nicht.«
    »Was bekommst du im Schlittendepot?«
    »Was ich hier zum Leben brauche, Fleisch und Schnaps.«
    Der Bär verstummte, ließ den angenagten Knochen fallen, hob den Krug wieder an die Schnauze und trank den hochprozentigen Schnaps, als wäre er Wasser.
    »Verzeih meine Frage, Iorek Byrnison«, sagte Farder Coram, »aber du könntest doch in Freiheit leben, auf dem Eis Seehunde und Walrosse jagen oder in den Krieg ziehen und reiche Beute machen. Was hält dich eigentlich in Trollesund und Einarssons Bar?«
    Lyra spürte, wie sie überall eine Gänsehaut bekam. Eine solche Frage war doch fast schon eine Beleidigung und mußte den Bären in besinnungslose Wut versetzen. Wie konnte Farder Coram es wagen, sie zu stellen? Iorek Byrnison setzte den Krug ab, kam dicht ans Tor und starrte dem alten Mann ins Gesicht. Farder Coram zuckte nicht zurück.
    »Ich kenne die Leute, die du suchst, die Kinderabschneider«, sagte der Bär. »Sie haben vorgestern die Stadt verlassen und sind wieder mit Kindern in den Norden gefahren. Von den Bewohnern der Stadt werdet ihr darüber nichts erfahren. Alle tun so, als sehen sie nichts, denn die Kinderabschneider bringen Geld und Arbeit. Ich mag sie allerdings nicht, deshalb beantworte ich deine Frage. Ich bin hier und trinke Schnaps, weil man mir hier meine Rüstung weggenommen hat, und ohne Rüstung kann ich zwar Seehundejagen, aber nicht in den Krieg ziehen. Ich bin ein Panzerbär, und der Krieg ist das Meer, in dem ich schwimme, und die Luft, die ich atme. Doch die Männer dieser Stadt gaben mir so viel Schnaps zu trinken, bis ich eingeschlafen war, und dann nahmen sie mir die Rüstung weg. Wenn ich wüßte, wo sie sie aufbewahren, würde ich die Stadt in Schutt und Asche legen, um sie wiederzubekommen. Wenn ihr wollt, daß ich euch diene, so ist das mein Preis: Besorgt mir meine Rüstung wieder. Tut ihr das, kämpfe ich für euch, bis ich tot bin oder ihr gesiegt habt. Der Preis ist meine Rüstung. Ich will sie zurückhaben. Dann werde ich nie mehr Schnaps brauchen.«

Die Rüstung
     
     
    Nach ihrer Rückkehr auf das Schiff zogen sich Farder Coram, John Faa und die anderen Anführer zu einer langen Besprechung in den Salon zurück, und Lyra ging in ihre Kabine, um das Alethiometer zu befragen. Fünf Minuten später wußte sie, wo die Rüstung des Bären war und warum es sehr schwer sein würde, sie zurückzubekommen.
    Lyra überlegte, ob sie zum Salon gehen und es John Faa und den anderen sagen sollte; aber die würden sie schon fragen, wenn sie es wissen wollten. Vielleicht wußten sie es ja schon.
    Sie blieb also auf ihrer Koje liegen und dachte an den riesigen, wilden Bären. Wie achtlos er den Schnaps getrunken hatte, und wie einsam er in seiner schmutzigen Behausung sein mußte. Was für ein Glück, daß sie selbst ein Mensch war und einen Dæmon hatte, mit dem sie immer reden konnte. Das unaufhörliche Quietschen von Metall, und das Knarren des Holzes und das Rumpeln des Motors und das Klatschen der Wellen waren verstummt, und umgeben von der Ruhe des ankernden Schiffes schlief Lyra allmählich ein, den schlummernden Pantalaimon auf dem Kopfkissen neben sich.
    Sie träumte gerade von ihrem gefangenen Vater, als sie plötzlich ohne jeden Grund aufwachte. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war. Ein schwacher Lichtschein, den sie für Mondlicht hielt, fiel in die Kabine, genau auf ihre neuen Winterpelze, die steif in der Ecke lagen. Bei ihrem Anblick erlag sie der Versuchung, sie noch einmal anzuprobieren.
    Kaum hatte sie alles angezogen, hielt sie es drinnen nicht mehr aus, und einen Augenblick später

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