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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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mit dem gleichen Ergebnis. Iorek bewegte sich viel schneller und sicherer als sie. Nun versuchte sie ihn ernsthaft zu treffen und schwang den Stock wie ein Florett, aber kein einziges Mal landete er auf seinem Körper. Der Bär schien im voraus zu wissen, was sie vorhatte: Wenn sie nach seinem Kopf stieß, fegte die große Tatze den Stock weg, und wenn sie nur einen Angriff vortäuschte, bewegte Iorek sich gar nicht erst.
    Erbittert stach, hieb, stieß und prügelte sie in einer wilden Attacke auf ihn ein, aber was sie auch anstellte, sie kam einfach nicht an seinen Tatzen vorbei. Sie schienen überall gleichzeitig zu sein, parierten jeden Stoß und schützten immer genau die richtige Stelle.
    Schließlich hielt sie eingeschüchtert inne. Sie schwitzte in ihren Pelzen, war außer Atem und erschöpft, und der Bär saß immer noch völlig ungerührt da. Selbst bei einem echten Schwert mit tödlicher Spitze hätte er keinen Kratzer abbekommen.
    »Ich wette, du könntest sogar Kugeln abfangen«, sagte sie und warf den Stock weg. »Wie schaffst du das bloß?«
    »Ich bin eben kein Mensch«, erwiderte Iorek. »Und deshalb könntest du auch nie einen Bären reinlegen. Tricks und Täuschungen sind für uns etwas so Sichtbares wie für andere Arme und Beine. Wir haben einen Blick, den die Menschen verlernt haben. Aber du kennst das ja, schließlich kannst du den Symboldeuter lesen.«
    »Das ist doch nicht dasselbe«, sagte Lyra. Der Bär flößte ihr jetzt mehr Angst ein als bei seinem Wutanfall.
    »Es ist dasselbe«, sagte er. »Soviel ich weiß, können Erwachsene ihn nicht lesen. Was ich für Menschen bin, die gegen mich kämpfen, bist du mit dem Alethiometer für Erwachsene.« »Vielleicht hast du recht«, gab sie verwirrt und widerstrebend zu. »Heißt das etwa, ich kann das Alethiometer nicht mehr lesen, wenn ich älter bin?«
    »Wer weiß. Ich habe nie zuvor ein solches Instrument gesehen, geschweige denn jemanden, der es hätte lesen können. Vielleicht bist du ja anders als die anderen.«
    Er ließ sich wieder auf alle viere fallen und setzte seine Mahlzeit fort. Lyra hatte ihre Pelze aufgemacht, doch jetzt spürte sie die schneidende Kälte und mußte sie wieder zumachen. Sie war zutiefst verunsichert und hätte am liebsten an Ort und Stelle das Alethiometer befragt, aber dazu war es zu kalt, außerdem riefen die anderen nach ihr, denn es war Zeit aufzubrechen. Sie nahm die beiden Dosen, die Iorek Byrnison gemacht hatte, stopfte die leere in Farder Corams Seesack und die mit dem fliegenden Spion zusammen mit dem Alethiometer in ihre Bauchtasche. Sie war froh, daß es weiterging.
     
     
    Die Anführer hatten mit Lee Scoresby ausgemacht, bei der nächsten Rast den Ballon aufzublasen, damit er die Gegend aus der Luft auskundschaften konnte. Natürlich brannte Lyra darauf, mit ihm zu fliegen, und natürlich durfte sie nicht, aber sie fuhr auf dem Weg zur nächsten Rast auf seinem Schlitten mit und löcherte ihn mit Fragen.
    »Mr. Scoresby, wie würden Sie nach Svalbard fliegen?« »Man brauchte ein Luftschiff mit Gasmotor, zum Beispiel einen Zeppelin, oder man brauchte einen kräftigen Südwind. Aber Teufel noch mal, ich würde es nicht wagen. Kennst du Svalbard? Es ist das trostloseste, ödeste, unwirtlichste und gottverlassenste Nirgendwo.«
    »Ich habe bloß überlegt, ob Iorek Byrnison vielleicht zurück will…«
    »Man würde ihn töten. Iorek ist verbannt. Sobald er einen  Fuß auf die Insel setzt, würden die Bären ihn in Stücke reißen.« »Wie wird Ihr Ballon eigentlich aufgeblasen, Mr. Scoresby?« »Es gibt zwei Möglichkeiten. Ich kann Wasserstoff herstellen,  indem ich Schwefelsäure auf Eisenspäne gieße. Das dabei freigesetzte Gas fange ich auf und fülle damit nach und nach den Ballon. Für die andere Möglichkeit müßte man in der Nähe einer Feuermine eine Erdgasquelle finden. Unter dem Boden hier gibt es jede Menge Gas und außerdem Erdöl. Notfalls könnte ich Gas aus Erdöl oder Kohle gewinnen, das ist nicht schwer. Aber am schnellsten geht es mit Erdgas. Bei einem guten Loch könnte man den Ballon in einer Stunde füllen.«
    »Wie viele Leute können Sie mitnehmen?«
    »Sechs, wenn es sein muß.«
    »Könnten Sie Iorek Byrnison samt seiner Rüstung mitnehmen?«
    »Das habe ich schon getan. Ich hab ihn einmal vor den Tataren gerettet. Sie hatten ihm den Rückzug abgeschnitten und wollten ihn aushungern — das war während des TunguskaFeldzuges; ich bin hingeflogen und hab ihn da rausgeholt.

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