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Der Goldene Kompass

Der Goldene Kompass

Titel: Der Goldene Kompass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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die Lungen heraus, wenn ihr lacht! Er hatte nur diesen alten, getrockneten Fisch zum Liebhaben und Trösten — statt seines Dæmons! Wer hat ihm den Fisch weggenommen? Wo ist er?«
    Sie merkte nicht, daß sich Pantalaimon in einen fauchenden Schneeleoparden verwandelt hatte und aussah wie der Dæmon von Lord Asriel; für sie gab es nur noch Recht und Unrecht.
    »Immer sachte, Lyra«, sagte einer der Männer.
    »Wer hat ihn weggenommen?« brauste sie wieder auf, so zornig, daß der Gypter vor Schreck einen Schritt zurückwich.
    »Ich wußte das nicht«, sagte ein anderer Mann bedauernd. »Ich dachte, er hätte ihn nur zum Essen dabeigehabt. Ich habe ihn aus seiner Hand genommen, weil ich dachte, es gehöre sich bei einem Toten so. Nur deshalb, Lyra.«
    »Und wo ist er?«
    Dem Mann war sichtlich unbehaglich zumute. »Ich hatte doch keine Ahnung, wozu er ihn brauchte. Ich habe ihn meinen Hunden gegeben. Ich bitte dich vielmals um Entschuldigung.«
    »Da mußt du schon ihn bitten, nicht mich«, sagte Lyra kurz und wandte sich ab. Sie kniete wieder nieder und legte ihre Hand auf die eisige Wange des toten Kindes.
    Dann kam ihr eine Idee, und sie durchwühlte ihre Pelze. Als sie den Anorak aufmachte, spürte sie die schneidende Kälte, aber sie hatte schnell gefunden, was sie suchte. Sie nahm eine Goldmünze aus ihrem Portemonnaie, dann mummte sie sich rasch wieder ein.
    »Ich hätte gern dein Messer«, sagte sie zu dem Mann, der den Fisch genommen hatte, und als er es ihr gab, fragte sie Pantalaimon: »Wie hieß er noch mal?«
    Pantalaimon verstand sofort und sagte: »Ratter.«
    Lyra hielt die Münze mit der linken, in einem dicken Fäustling steckenden Hand fest, packte das Messer wie einen Stift und ritzte den Namen des verlorenen Dæmons in das Gold.
    »So wird es bei den Wissenschaftlern von Jordan gemacht, hoffentlich ist es auch bei dir richtig«, flüsterte sie dem toten Jungen zu. Sie stemmte seine Zähne auseinander, um ihm die Münze in den Mund zu schieben. Es war schwer, aber sie schaffte es und drückte die Kiefer anschließend wieder zusammen.
    Dann gab sie dem Mann das Messer zurück, drehte sich um und ging im Morgenlicht zu Farder Coram zurück.
    Farder Coram nahm einen Becher mit Suppe vom Feuer und reichte ihn Lyra; gierig schlürfte sie die heiße Flüssigkeit.
    »Was ist mit den Hexen, Farder Coram?« fragte sie. »Ob Ihre Hexe wohl auch dabei war?«
    »Meine Hexe? Soweit würde ich nicht gehen, Lyra. Wer weiß, wohin sie fliegen. Im Leben von Hexen spielen die unterschiedlichsten Dinge eine Rolle, Dinge, die für uns unsichtbar sind, geheimnisvolle Krankheiten, denen sie zum Opfer fallen, über die wir aber nur mit den Achseln zucken, Kriege, deren Ursachen wir nicht annähernd verstehen, Freude und Trauer, die mit der Blüte Heiner Pflanzen in der Tundra zusammenhängen… Ach, ich wünschte, ich hätte die Hexen fliegen sehen, Lyra. Wie hätte ich diesen Anblick genossen. Jetzt trink deine Suppe leer. Willst du noch mehr? Es gibt auch noch Pfannkuchen. Iß, Kind, denn wir brechen bald auf.«
    Die Mahlzeit weckte Lyras Lebensgeister, und bald begann auch das Eis auf ihrer Seele zu tauen. Zusammen mit den anderen ging sie zum Scheiterhaufen, auf dem das abgeschnittene Kind lag. Bei John Faas Gebeten senkte sie den Kopf und schloß die Augen. Anschließend besprengten die Männer den Scheiterhaufen mit Kohlenspiritus und hielten brennende Streichhölzern daran. Sofort loderten die Flammen auf.
    Sobald sie sicher waren, daß der Junge völlig verbrannt war, machten sie sich wieder auf den Weg. Es war eine gespenstische Reise. Nach kurzer Zeit begann es zu schneien, und bald bestand die Welt nur noch aus den grauen Schatten der vorauslaufenden Hunde, dem Schlingern und Knarren der Schlitten, der beißenden Kälte und einem Meer durcheinanderwirbelnder Flocken, die kaum dunkler waren als der Himmel und kaum heller als der Boden.
    Mit erhobenen Schwänzen und dampfenden Atemwolken vor den Schnauzen rannten die Hunde unermüdlich weiter durch das Schneegestöber in Richtung Norden. Die fahle Mittagsstunde kam und ging, und dann versank die Welt wieder in der Dämmerung. In einer Mulde zwischen den Bergen machten sie Rast, um zu essen, zu trinken, auszuruhen und sich zu orientieren. Während John Faa mit Lee Scoresby besprach, wie man den Ballon am sinnvollsten einsetzen konnte, fiel Lyra der fliegende Spion ein, und sie erkundigte sich bei Farder Coram nach der Tabakdose, in der er die Kreatur eingesperrt

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