Der goldene Kuß
Mikrophone vor sich, die junge Sängerin Monika Süden. Aus dem Kopfhörer flatterte geisterhaft die Musik von einem Tonband, das schon früher bespielt worden war. Nun galt es, ihre Singstimme darüberzulegen und sie so auszubauen, daß Wohlklang, Timbre und Umfang entstanden. Man schleuste die Stimme dazu durch Schalleffekte und ließ Echos nachklingen, da füllte sie einen Riesenraum. Die elektronische Klangaufbereitung tat ein übriges, und wenn es gar zu arg war, mußte ein Chor zur Untermalung heran, oder man überspielte die Stimme in verschiedenen Höhen. Dann konnte man mit sich selbst drei- oder vierstimmig singen.
Monika Süden war gleich mit der Aufnahme fertig. Sie hatte zwei Stunden geprobt, bis das Liedchen saß. Man sah ihr die Anstrengung an; ab und zu wischte sie sich über das Gesicht und fuhr sich durch die lange, rotgefärbte Mähne.
»Noch einmal, Moni!« rief der Regisseur aus dem Technikraum. »War schon recht gut. Nur bei ›Ich liebe Männer, die gut küssen‹ bist du aus dem Rhythmus gekommen! Du mußt genau auf das Summen des Chores achten. Also noch einmal. Achtung … Band läuft …«
Vera Hartung setzte sich auf einen Stuhl in das halbdunkle Studio und hörte zu. Mit unterlegtem Echoeffekt klang die Stimme Monika Südens genauso, wie man sie immer im Fernsehen oder im Radio hörte. Aus den Kontroll-Lautsprechern hörte man es … aber Vera, die nahe bei Monika Süden saß, hörte auch, wie die kleine Stimme wirklich klang und was im Technikraum aus ihr gemacht wurde. Wenn man ihr das Mikrophon wegnimmt, dachte sie, wenn sie ohne alle technische Hilfen auf der Bühne singen müßte, so wie ein Opernsänger … Man würde sie nicht hören, sie ginge kläglich unter.
Das gab ihr Mut. Sie hatte bei dem anderen Sender heimlich Tonbandaufnahmen von sich machen lassen; damals, als sie glaubte, es könne ihr der Sprung von der Werbesendung-Ansagerin zum Star einer Show gelingen. Aufnahmen ohne technische Finessen, so aufgenommen, wie sie sang. Es klang nicht übel, aber auch nicht überwältigend. Jetzt aber sah sie, daß man mit ganz anderen Stimmen etwas werden konnte.
Monika Süden war mit ihrem Lied fertig. Vom Regieraum kam das obligatorische »Gestorben!« Erlöst räumte Monika Süden die Mikrophone und nickte Vera kameradschaftlich zu.
»Sie sind der neue Renner für die große Show?« fragte sie und gab Vera die Hand. »Ich werde auch in der Sendung singen. Auf gute Zusammenarbeit.«
»Das wünsche ich mir auch.«
Aus dem Regieraum kam jetzt Detlev Cranz. Er sah müde aus. Bis in die Nacht hinein hatte er geprobt mit der Bühnentechnik, die die komplizierten Quizaufgaben ausarbeitete. Es blieb nicht mehr viel Zeit bis zur ersten Sendung. Die riesige Rheinland-Halle war gemietet, der Kartenverkauf lief an, in den Rundfunkzeitschriften begann die Publicity. Die Premiere sollte vor fünftausend Zuschauern und dreißig Millionen Fernsehern stattfinden. Durch den Ausfall der routinierten Karin Jarut kam Cranz jetzt in Zeitnot. Mit einem Neuling zu proben, hält auf. Vorschußlorbeeren sind keine Realitäten. Die Kamera ist unbestechlich, sie allein!
»Alles klar, Vera?« fragte Cranz und gab Vera die Hand. »Wo haben Sie Ihre Noten?«
»Ich brauche keine Noten. Ich habe das Lied genau studiert.« Vera sah den verblüfften Cranz strahlend an. Sie erwartete ein Lob. Statt dessen schlug Cranz die Hände über dem Kopf zusammen.
»Das fängt ja gut an!« schrie er. »Sind Sie die Callas?! Haben Sie überhaupt schon Gesangsaufnahmen gemacht?«
»Privat …«
»Die Hölle ist ein Sanatorium gegen ein Funkhaus!« sagte Cranz theatralisch und ging zurück in den Regieraum. Dort setzte er sich an das Schaltpult und winkte durch die große Glasscheibe ins Studio. Unbefangen stellte sich Vera hinter die Mikrophone, nahm den Kopfhörer, stülpte ihn über und drehte die Mikrophone etwas niedriger. Sie war bereit und nickte zu Cranz zurück.
»Wir können …«
»Ich spiele Ihnen das Orchesterband vor«, sagte Cranz durch sein Mikrophon. »Hören Sie es sich genau an – dann proben wir das Einspielen …«
Es knackte im Kopfhörer, dann tönte voll die Einleitungsmusik in Veras Ohren. In diesem Augenblick sah sie Horst Helmke hereinkommen. Er schlich sich zu einem Stuhl, hob beide Hände und drückte ihr die Daumen.
Vera lachte ihn an. Alle Sorge, alle Angst, alle Hemmungen fielen von ihr ab. Ich kann es, dachte sie. Ich kann es, ihr werdet staunen.
Ihr Einsatz … Ohne Scheu sang
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