Der goldene Kuß
geht sinnend und singend durch den Herbstwald und denkt an seine Geliebte. Es regnet. Natürlich geht er ohne Schirm. In Wirklichkeit wäre er ein blöder Hund, wenn er das täte, aber der Zuschauer will es so. Ein Sänger mit Schirm, unmöglich. Also wird Amado klatschnaß, das wirkt grandios, das spiegelt genau die Stimmung seiner Verlassenheit und Sehnsucht. Plötzlich sieht er auf einer Bank ein Mädchen. Sie – Vera! Das Mädchen sitzt unter einem Schirm und starrt über den Fluß. Warum – keine Frage! Liebeskummer. Dieses Mädchen sieht in den Augen Amados wie die ferne Geliebte aus. Sie sehen sich an, der Funke springt über, Amado zieht sie von der Bank hoch, und sie tanzen selig durch den Regen. Als er sie küssen will, verschwindet sie in seinen Armen wie Nebel. Zurück bleibt der traurig rinnende Regen. Die Trickszene gestalten wir später im Atelier. Alles klar?«
Sergio Amado nickte. Er war groß, schlank und sah aus wie ein Korsar. Er bekam wöchentlich zweihundert Liebesbriefe, die alle seine Frau in seinem Namen beantwortete. Laut Taufregister hieß er Ernst Schmitt, aber unter diesem Namen war keine Karriere zu machen.
Das traurige Lied, das Sergio singen sollte, war längst auf Band aufgenommen. Ein Lautsprecher plärrte es in die stille Herbstlandschaft, damit Sergio die Lippen danach bewegen konnte. Diese Außenszene sollte später im ›Goldenen Kuß‹ auf einer Riesenleinwand erscheinen, als Vorspann für das leibliche Auftreten von Sergio Amado und Vera Hartung auf der Hallenbühne.
»Probe ohne Regen!« schrie Cranz. Drei Arbeiter standen mit den dicken Wasserschläuchen bereit. Sie hatten Zersprüher draufgeschraubt, was einen herrlichen Schnürlregen garantierte.
Man probte viermal, und es klappte vorzüglich. Der Tanz Veras mit Sergio war ein Genuß für das Auge. Das war ein Gleiten und Schweben, ein verliebtes Zueinanderfinden, daß selbst der abgebrühte Cranz sagte: »Sehr gut!«
»Alle Kameras bereit!« brüllte der Aufnahmeassistent vom Wagen. Der Regieassistent rückte die Bank noch näher ans Flußufer.
»Und der Herr sprach: Es werde Regen!« schrie Cranz und ließ die Hand fallen, die er hoch erhoben hatte. Vor Sergio fiel die erste Klappe, aus den Schläuchen rauschte der herrlichste Regen, der Lautsprecher brüllte die Melodie … im strömenden Regen begann Sergio Amado, die Lippen zu bewegen, und machte ein sehnsuchtsvolles Gesicht, was unter dem Wasserstrom nicht schwer war. Er ging singend durch den tropfenden Wald, ein Märtyrer seiner hoffnungslosen Liebe.
Kamera I fuhr mit, Kamera II fing die Romantik der Landschaft ein, Kamera III wartete auf das Zusammentreffen Sergios mit Vera auf der Bank.
»Jetzt siehst du sie!« schrie Cranz, der neben der Kamera I herging. »Vera, Sie sehen ihn auch! Ja, so … alle Liebe in die Augen. Helmke, Großaufnahme von Veras Augen. Sergio … du spürst den Regen nicht mehr … Gut so, gut so … Vorzüglich … und jetzt tanzen … am Fluß entlang … es ist, als ob aus den Regentropfen Goldtropfen werden … Schlauch eins näher ran! Und jetzt … küsssssen …« Cranz winkte mit beiden Armen. Der Regen hörte ruckartig auf. »Alles im Kasten? Ja! Phantastisch. Szene gestorben! Zieht euch um, Kinder … Mit euch zu drehen, ist ein Vergnügen.«
»Und ich krieje 'nen Schnupfen!« sagte der schwarzlockige Korsar Sergio Amado in bestem Berlinisch. »Warum muß det ausjerechnet im Rej'n sein?!«
Glücklich zog sich Vera im Gerätewagen um. Die Routiniers um sie herum hatten es nicht bemerkt … sie hatte mit ihrer ganzen Seele gespielt, und sie hatte das herrliche Gefühl in sich gespürt, etwas Gutes geleistet zu haben.
Ein Traum war wahr geworden. Ein Star wurde geboren.
*
Vier Tage später stand es endgültig fest: Quizmaster Holger Roggenkamp war nicht einsatzbereit. Seine Heiserkeit war vollkommen, er hauchte nur noch ins Telefon. Vier Wochen Erholung hatte man angeraten.
»Sag ich es nicht?« bemerkte Pelz, als Roggenkamps letzter Anruf überstanden war. »Im ›Goldenen Kuß‹ ist der Wurm!« Er sah seine Sekretärin an und nickte mehrmals, als glaube man ihm nicht. »Lassen Sie an alle Zeitungen und Presseagenturen herausgehen: Verschiebung der Premiere um drei Monate. Begründung ehrlich: Erkrankungen von Hauptdarstellern. Alles andere soll von den Verkaufsbüros geregelt werden.«
Im Funkhaus wurde umdisponiert. Die Vorbereitungen zum ›Goldenen Kuß‹ wurden unterbrochen. Die Aufnahmen zu ›Ich suche
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