Der goldene Kuß
Heimann warf Brest dessen Strohhut zu. »Los, komm hinunter. Wir fahren gleich ab. Mit HH bist du wieder klar?«
»Ja«, knirschte Brest. »Aber er glaubt es nicht ganz …«
»Ist auch schwer.« Heimann sah auf das Bild, nahm es dann und trat mit dem rechten Bein hinein. Er knirschte, die Leinwand zerriß. Tommy Brest stöhnte auf, aber er unternahm nichts. »Es ist besser so, Tommy«, sagte Heimann und warf das Bild hinters Sofa. »Wir leben hier auf Zypern, jeder ist auf den anderen angewiesen, wir müssen eine große Kameradschaft sein … alles andere ist unwichtig.«
Man sieht, Carlos Heimann konnte auch vernünftig reden.
*
Der Vormittag ging tatsächlich herum mit Porträtaufnahmen Brests. Stumm, verkniffen ließ Tommy alles über sich ergehen. Die Ausleuchtung, die verschiedenen Kopfhaltungen, die Messungen, die Großaufnahmen, sogar die Mimiken, die Heimann verlangte, machte er. Am wenigsten gelang ihm Schmerz, am besten Wut. Dann mußte er sich in verschiedenen Situationen hinlegen … verkrümmt im Sand, hingestreckt zwischen Steinen, schwankend gegen einen Felsblock gelehnt, mit dem Kopf nach unten über einem Abhang. Tommy Brest, der eisenharte Kerl, der immer wieder aufsteht und die Killer weiterjagt. Die Serie war auf sechzehn Folgen geplant.
Horst Helmke hielt sich abseits vom Team und studierte im Drehbuch die Einstellungen für den Nachmittag. Man wollte hinauf auf den Olympus, 1.900 Meter hoch. Dort, in der wildromantischen Landschaft, mit einem einzigartigen Blick über die Insel, und im Tal der Zedern westlich von Kykko sollte ein Teil der neuen Serie spielen. Heimann hatte eine glänzende Idee gehabt: In den Kronen der riesigen Zedern ließ er wie ein Nest den Unterschlupf der Gangster bauen. Während die Polizei unten durch die Felsen irrte, saßen sie lächelnd in ihren hohen Baumkronen, Adlern gleich. Nur Tommy Brest entdeckte sie – natürlich, er war ja der Held. Brest allein gegen die Baumgangster … das war ein Knüller, wie er noch nie im Fernsehen gezeigt wurde.
»Was hast du?«
Helmke sah vom Drehbuch auf. Vera stand vor ihm, geschminkt und im Kostüm ihrer Rolle. Es tat ihm weh, sie anzusehen und dann wieder wegzuschauen.
»Nichts!« sagte er kurz.
»Du bist nicht zum Frühstück gekommen.«
»Ich habe auf dem Zimmer gegessen.«
»Was du mit Tommy gemacht hast, war gemein.«
»Geh hin und streichle ihm die Augen!«
»Er hat mich angezogen gemalt!«
»Das sagt er auch!«
»Du glaubst mir nicht?«
»Es ist schwer.«
»Was ist eine Liebe ohne Vertrauen?«
»Da hast du recht. Was ist sie?« Helmke starrte an Vera vorbei.
»Du bist eifersüchtig?«
»Ja! Und wie!« Helmke sprang auf. »Ich hätte Tommy ermorden können. O verdammt, ich war nahe davor. Du weißt gar nicht, Vera, wie sehr ich dich liebe.«
»Ich weiß jetzt nur, daß du ein ganz dummer Junge bist. Und ich weiß, daß du kein Vertrauen hast. Soll unser ganzes Leben nur eine einzige Schlägerei sein, du gegen alle? Das ist doch sinnlos. Laß uns vergessen, daß wir uns lieb hatten …«
Sie drehte sich auf dem Absatz rum und ging. Es fiel ihr schwer, so zu reden, sie nahm alle schauspielerische Kraft zusammen, um diese Worte ehrlich klingen zu lassen. Ihr Herz zuckte dabei, um so mehr, als sie sah, daß die Worte Helmke trafen wie Geschosse.
»Vera!« schrie er hinter ihr her, als sie schnell wegging. »Vera, laß uns noch einmal darüber sprechen …«
Sie antwortete nicht, sondern verdoppelte ihre Schritte. Helmke lief ihr nach und faßte ihren Arm. Sie schüttelte ihn energisch ab. »Laß das! Es ist vorbei!«
»Vielleicht bin ich wirklich ein Rindvieh!« sagte Helmke.
»Warum vielleicht?« sagte Vera kalt. »Natürlich bist du eins.«
Es war ein Vormittag, der keinem Freude brachte – bis auf Heimann, der den deformierten Tommy Brest durch das Gelände jagte und immer neue Stellungen für einen Niedergeschlagenen erfand. Horst Helmke versuchte noch viermal, Vera zu sprechen … sie ließ ihn stehen, sosehr sie das im Innern schmerzte.
»Das kann heiter werden!« schnaubte Heimann, als er diese Szenen verirrter Liebenden beobachtete. »Wenn das so weitergeht, müssen wir arrangieren, daß die beiden vierundzwanzig Stunden allein in eine Höhle gesperrt werden.«
*
Im Funkhaus in Deutschland rissen die Aufregungen nicht ab. Das Gesetz der Serie bewahrheitete sich. Hans Putzler, der Sportchef des Senders, drückte es so aus: »Wo ein Hund das Bein hebt, heben es auch zehn andere.«
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