Der goldene Kuß
sagte: Das ist er.«
Heimanns Kopf sank auf die Brust. So miserabel bin ich also, dachte er. So völlig von allen räudigen Hunden gebissen. Ich errege Withcocks Entzücken … was kann mir noch mehr passieren …?
»Honorar?« fragte er schwach.
»Das Anderthalbfache des Normalvertrages.«
»Und wer spielt die Desdemona?«
»Karin Jarut.«
Carlos Heimann fuhr aus dem Sessel, als habe ihn eine Tarantel gestochen. »Angenommen!« brüllte er und umarmte den starren Withcock. »Angenommen! Für diesen Film würde ich unter die Fakire gehen! Reden Sie nicht weiter, Mr. Withcock … es ist alles klar … alles klar …«
Man sieht: Das Schicksal ist nicht immer gemein. Es hat auch manchmal schwarzen Humor.
*
Im Funkhaus hatte es eingeschlagen. Ohne Blitz, aber mit um so mehr Donner. Es war dieses Mal nicht der Intendant, sondern ganz im Gegenteil: Der Einschlag traf Dr. Rathberg selbst. Und die Kanone, die diesen Schuß abgefeuert hatte, stand in Bonn. Im Bundeshaus, in verschiedenen Zimmern der Fraktionen.
Am Abend vorher war eine politische Sendung durch den Äther geflimmert.
Hubert Reichling kommentierte einen Film: ›Des Wirtschaftswunders ungeputzte Seite‹.
Es war ein guter Film, ein spannender Film, ein wahrer Film vor allem. Er zeigte, daß in Deutschland, das zwei Milliarden Entwicklungshilfe gezahlt hat, noch immer Slums zu finden sind – Baracken, wo zehn Personen in einem Zimmer hausen, zusammen mit Ratten und Mäusen. Er zeigte, daß es in den Städten Häuser gibt, die immer mehr verfallen und trotzdem vollgestopft sind mit Gastarbeiter-Familien, während unzählige teure Eigentumswohnungen leerstehen. Er zeigte, daß Kranke in den Krankenhäusern auf Fluren stehen, in Badezimmern, hinter Verschlagen, in Kellerräumen, weil es zu wenig Krankenbetten gibt. Dann zeigte er einen Krankenhausneubau in irgendeinem dunklen Staat, mit herrlichen weißen Betten und allen Geräten – aber der Bau steht leer und verkommt und verfault in der Tropenluft, weil dieser Staat keine eigenen Ärzte hat und sich andere Ärzte weigern, dorthin zu ziehen. Und man sah einen deutschen Friedhof, auf dem Judengräber demoliert, zerstört worden waren. Der Film zeigte schließlich die riesigen Gräberfelder in Frankreich und Deutschland, die Soldatenfriedhöfe mit den markigen Worten: ›Zur ewigen Mahnung‹ – und er zeigte dann marschierende Soldaten der Bundeswehr, die ein Lied sangen vom Gegner, den man vernichten soll … Der Film zeigte … er zeigte so viel Wahrheit, daß man in Bonn darüber zur Kanone griff und auf Dr. Rathberg schoß.
Der Ausdruck: ›Dolchstoß in den Rücken unserer christlichen Demokratie‹ war noch das Mildeste, was ins Funkhaus kam. Unwahr, verzerrtes Bild, einseitige Sicht, Frechheit, Propaganda für Moskau, Beleidigung der Regierung und des Bundestages, unmögliches Verhalten eines Fernsehreporters, Brüskierung des Parlamentes … es war eine Liste, die Dr. Rathberg mit bebender Stimme Theo Pelz vorlas. Am schlimmsten waren die Vertriebenenverbände; der Film hatte gezeigt, an vier Beispielen, wie Flüchtlinge früher in Schlesien gelebt hatten und wie sie jetzt lebten: eigenes Häuschen, schöner Wagen, elegant gekleidet, gut genährt. Und diese vier sagten, ahnungslos, daß man in ihrer Heimat bereits gefilmt hatte: »Wir wollen zurück! Wir verlangen unsere Heimat wieder. Was wir dort verlassen haben, kann uns keiner ersetzen.« Und der Film schwenkte hin und her zwischen gestern und heute. Kommentator Hubert Reichling nannte diesen Abschnitt: Über die Glaubwürdigkeit des Heimatgedankens.
»Mit diesem Film haben wir in alle bereitstehenden Fettnäpfchen getreten«, sagte Dr. Rathberg entsetzt, als der Umfang der hellen Empörung klar wurde. »Von der SPD bis zur CDU, vom Püttmann bis zum Berufsflüchtling, von den Gewerkschaften bis zur Krankenkasse, von der Kommunalverwaltung bis zum Bundesrat – alles ist sauer. Herr Pelz, es gibt tatsächlich keinen Demokraten in Deutschland, den wir nicht ins Herz getroffen haben. Was nun? Sie haben den Film durchgehen lassen. Ich kann mich ja nicht um alles kümmern.«
Dr. Rathberg senkte den Kopf und stelzte zu seinem großen Aussichtsfenster. Im Vorzimmer warteten der Chefredakteur für Politik, der Abteilungsleiter Aktuelles und der ehrliche Unglücksrabe Hubert Reichling, der dem Wirtschaftswunder unter den Rock geguckt hatte.
»Eine große Zahl Bundestagsabgeordneter verlangt, daß wir Reichling entlassen. Man spricht sogar
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