Der goldene Kuß
…
*
Dies alles geschah vor jenem Sonntag, an dem Karin Jarut und Theo Pelz den Intendanten Dr. Rathberg in sein Jagdhaus gelockt hatten.
Hier war die Stimmung etwas besser geworden. Rathberg hatte mit Karin angestoßen und den Kognak getrunken. Er tat so etwas sonst nie auf nüchternen Magen, aber diesmal war es ja auch eine Ausnahmesituation. In der Küche des Jagdhauses hantierte Theo Pelz mit Geschirr und Töpfen.
»Um Kaffee zu kochen, bewegt er wohl eine ganze Hotelküche!« sagte Dr. Rathberg und lachte.
Karin Jarut beugte sich vor, stieß mit dem eisernen Haken einen Buchenkloben tiefer ins Kaminfeuer und lehnte sich dann zurück.
»Ich bin glücklich«, sagte sie leise.
Dr. Rathberg sah sie verwundert an. »Wieso diese Feststellung?«
»Sie lachen, Herr Intendant … das ist so schön …«
»Soll ich brüllen, wie ich eigentlich müßte? Wem nützt es noch etwas? Man muß aus Situationen das Beste herausholen … und das ist vorerst ein gutes Frühstück.« Rathberg beugte sich vor und rief: »Pelz! Im Kühlschrank steht alles. Brot im Brotschrank. Können Sie auch Eier kochen?«
»Meine Spezialität Herr Intendant«, rief Pelz aus der Küche zurück. »Der Club der kochenden Männer hat mich zum besten Eierkoch ernannt! Nirgends sprudelt das Wasser so wie bei mir! Fünfminutenei, wenn's recht ist?«
»Er ist ein frecher Bursche!« Rathberg sah in die Kaminflammen. »Warum heiraten Sie nicht, Karin?«
»Wen?«
»Theo Pelz.«
»Dazu kennen wir uns zu gut.«
»Das ist auch ein Argument. Aber kein moralisches.«
»Man kann nicht das ganze Leben mit der Moral lösen.«
»Man gibt sich keine Mühe.«
»Ist Politik moralisch?«
»Eine provozierende Frage; sie ist moralisch, wenn sie Gutes schafft.«
»Hat Politik in Deutschland schon jemals Gutes geschaffen?«
»Ende der Durchsage, Karin! Sie denken zu sehr als Frau.« Dr. Rathberg winkte ab. »Ihnen fehlt das nüchterne Kalkül. Noch einen Kognak?«
»Wenn wir nachher gemeinsam singen wollen … gern.«
Rathberg goß ein. Pelz kam von der Küche herein. Er trug eine Schürze mit bunten Blümchen und deckte den Tisch. »Welchen Eierwärmer nehmen Sie, Herr Intendant?« fragte er. »Rot oder blau gesprenkelt?«
»Ich kenne Sie kaum wieder, Pelz.« Rathberg winkte. »Nehmen Sie Platz.«
»Außerhalb des Funkhauses bin auch ich nur Mensch«, sagte Pelz und setzte sich. Rathberg goß ihm einen Kognak ein.
»Und im Funkhaus?«
»Der Prügelknabe aller Abteilungen und der Beichtvater von Rathberg-Geschädigten …«
»Theo!« rief Karin warnend. Aber Rathberg winkte ab.
»Es ist gut, daß Sie die Gelegenheit wahrnehmen und auspacken.«
»Sehen Sie! Was kann mir noch passieren? Heute ist Sonntag, wir sitzen hier in der Einsamkeit zusammen und müssen uns ertragen. Wir können als Menschen zueinander sprechen … morgen ist Montag, um zehn Uhr ist Abteilungsleiterbesprechung, bei der die vorläufige Beurlaubung des Programmdirektors Pelz verkündet wird. Dann ist die Stunde der Wahrheit vertan. Also heißt es, jetzt zu sprechen.«
Rathberg widersprach nicht. In den Augen Karins sah er die nackte Angst. Sie hielt Pelz für eine Art Selbstmörder.
»Weiter!« sagte Rathberg, als Pelz schwieg und Atem holte. »Erzählen Sie mir, welch ein Ekel ich bin.«
»Das sind Sie nicht!« Pelz goß sich den zweiten Kognak ein. In der Küche klingelte die Eieruhr, er überhörte sie. Er vergaß auch, daß auf dem Propangaskocher eine Pfanne mit heißem Fett stand und ein Küchentuch dicht danebenlag, mit dem er das Fett, das herausspritzte, abwischen wollte. Er sah nur die Augen Dr. Rathbergs, die ihn gespannt anblickten.
»Was bin ich dann?« fragte Rathberg.
»Ein Mann, der zwischen Eigenleben und Repräsentation zerrieben wird. Als Karin auf offener Straße geohrfeigt wurde, reagierten Sie so, wie man es von Ihnen erwartete … Ihre Parteifreunde, die kirchlichen Würdenträger, der Rundfunkrat, alle, die die Sittlichkeit gefressen haben und schön dick dabei wurden. Sie schleuderten Ihren Bann über Karin … was Sie selbst tief im Innern dachten, das wissen nur Sie.«
»Dasselbe, Herr Pelz!«
»Enttäuschen Sie mich nicht, Herr Intendant. Das ist nicht wahr. Sie haben Karin immer geschätzt.«
Dr. Rathberg kräuselte die Nase. Soll ich das Gespräch abbrechen, dachte er. Soll ich mir vor Karin so etwas sagen lassen? Soll ein anderer meine Gefühle analysieren? Das geht zu weit.
Aber er schwieg und ließ Pelz weitersprechen.
»Ich hätte
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