Der goldene Kuß
Kognakflasche und drei Gläser und verschwand dann pfeifend nebenan in der Küche. Kopfschüttelnd schenkte Rathberg sich und Karin Jarut ein. »Seine Frechheit bringt mich oft um die Fassung«, sagte er dabei. »Aber ich mag ihn.«
Aufatmend ließ sich Karin in ihren Sessel fallen. Sie hätte weinen können vor Freude.
Der Eispanzer um Rathbergs Herz hatte einen Riß bekommen.
*
Für einen Laien ist der Betrieb in einem Fernsehsender ein Wunderding. Allein schon die Tatsache, daß da einige Kameras herumstehen und filmen, die aufgenommenen Bilder in elektrische Zeilen zerlegt werden, als Impulse durch Kabel laufen und von einem Mast aus ausgestrahlt werden, um dann zu Hause auf dem Bildschirm wieder Gestalt zu bekommen, und das sogar bunt – es ist einfach unbegreiflich und mit schlichten Worten nicht zu erklären. Hier setzen die täglichen Wunder ein; mit der Einschaltung des Fernsehapparates blicken täglich vierzig Millionen auf etwas Unbegreifliches.
Geheimnisumwittert ist deshalb auch alles, was mit Fernsehen zusammenhängt. Teenager wünschen sich einen Blick hinter die Kulissen. Die Seligkeit beginnt da, wo man mit einem Star Zusammensein darf. Selbst gefilmt zu werden, das ist etwa so, als würde man das Herz auf einer goldenen Schale herumgetragen sehen. Die Magie des Unerklärbaren erfaßt jeden.
Nur für die Tausende, die ihr Brot beim Fernsehen verdienen, ist es ein Betrieb wie jeder andere. Ihnen ist alle Mystik fremd; sie kennen nur die Nervosität, die überall herrscht, wo gedreht und aufgenommen wird. Das ist beim Film so, das ist beim Fernsehen nicht anders. Vor Beginn großer Sendungen, etwa bei Wahlschlachten, öffentlichen Shows oder Olympiasendungen muß man Intendant Dr. Rathberg recht geben, wenn er stöhnt: »Ich habe lauter Verrückte um mich! Herr Pelz … bringen Sie mir einen, der vernünftig redet.« Doch das war unmöglich, denn selbst Theo Pelz gehörte dann zu den Verrückten.
In diesen Tagen traf den Sender ein neuer Schlag.
Einer der bekanntesten Sportreporter wurde tot in seinem Wagen am Rande der Stadt in einem Wäldchen gefunden.
Die Umstände seines Sterbens waren rätselhaft: das Auto war von innen verriegelt, alle Fenster fest geschlossen. Klaus Damms – so hieß der Reporter – saß zurückgelehnt auf dem Beifahrersitz, den Kopf etwas schräg, als schlafe er – aber mit einem fingerdicken Gummischlauch war das Auspuffgas in das Innere des Wagens geleitet worden. Vom Auspuff führte der Schlauch unter dem Wagen her den Getriebetunnel entlang bis zum Motor. Dort hatte jemand die Wand neben dem Gaspedal durchbohrt und den Schlauch ins Innere geführt. Eine im wahrsten Sinne todsichere Konstruktion unter Vermeidung irgendwelcher Frischluftzufuhr.
»Klaus war schon immer ein begabter Knabe«, sagte jemand mit schwarzem Humor, als diese Konstruktion bekannt wurde. »Aber warum bloß?«
Diese Frage stellte sich jeder, am allermeisten Dr. Rathberg. In der Direktorenkonferenz wurde der Fall Damms Stück für Stück durchgesprochen.
»Fangen wir bei der wirtschaftlichen Situation an«, sagte Theo Pelz. Er hatte die Personalmappe Klaus Damms' vor sich liegen. »Damms verdiente gut, war unverheiratet, hatte keinerlei Schulden, sogar ein Bankkonto von vierunddreißigtausend Mark. Er war beliebt, hatte keine unglücklichen Liebschaften und machte auch nicht den Eindruck eines Depressiven. Und trotzdem beging er Selbstmord. Er hat keinerlei Briefe hinterlassen, wollte im nächsten Jahr sogar einen längeren Urlaub in Nordafrika machen …«
»Selbstmörder wird man selten verstehen können«, sagte der Chefredakteur der Aktuellen Schau. »Ich kannte eine Dame, die viermal den Versuch machte, nur weil ihr Schoßhund Josef sich viermal in eine Hündin verliebte.«
Niemand lachte. Dr. Rathberg sah den Chefredakteur stumm und tadelnd an. Dieser zuckte die Schultern.
»Es ist wahr und kein Witz«, murmelte er.
»Ich bin nicht gewillt, diesen Tod Klaus Damms' einfach hinzunehmen, wie es die Polizei tut, die lakonisch sagt: Grund unbekannt. Jeder Mensch hat einen Grund, wenn er freiwillig sein schönes Leben wegwirft! Meine Herren, ich lege Ihnen diesen Fall ans Herz. Fragen Sie in Ihren Abteilungen nach, was man über Klaus Damms weiß. Sammeln Sie alles, auch das anscheinend Unwichtige. Ich will mir ein vollkommenes Bild des Menschen Damms machen. Er wird davon zwar nicht wieder lebendig, aber wir werden daraus lernen, den Nächsten, den Menschen neben uns, besser zu
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