Der goldene Schwarm - Roman
könnte das Lagerhaus verlieren.«
»Joe, bitte.«
Joe sackt in sich zusammen. Nun sieht er aus wie eine menschliche Schildkröte, und es kann gut sein, dass er in seinem Panzer bleiben wird, bis Mercers Argumente zu Staub zerfallen sind und vom Winde verweht wurden. »Es ist mein Zuhause, Mercer.«
»Ich schicke jemanden, der deine Papiere holt. Wir lassen sie durch die Kanzlei bearbeiten und ans Finanzamt senden. Aber dies ist nicht der richtige Zeitpunkt, um sich wegen der Steuern Gedanken zu machen. Okay?«
»Ich habe Verpflichtungen, Mercer.«
Mercer mustert ihn eine Weile mit einem seltsamen Gesichtsausdruck.
»Verpflichtungen.«
»Ja.«
»Dir selbst gegenüber? Joyce gegenüber? Ich muss über diese Verpflichtungen Bescheid wissen.«
»Warum?«
»Weil sie relevant sind. Ich muss sie in meine Berechnungen miteinbeziehen. Ich habe geglaubt, nur dich beschützen zu müssen. Wenn es darüber hinaus noch jemanden gibt, muss ich das wissen.«
»Er war mein Freund!«, brüllt Joe unvermittelt. »Mehr will ich gar nicht sagen. Ich nehme an, das spielt jetzt keine große Rolle mehr, oder? Er war nervtötend und laut, und er hat mich in Schwierigkeiten gebracht. Aber ich musste nie allein sein, wenn ich es nicht wollte. Immer war Billy da, und nun ist er tot. Okay?« Joe ist mit erhobenen Händen und geballten Fäusten aufgesprungen, die Beine eine Schulterweite auseinander. Ein Boxer, der sich zum Kampf aufstellt. Er hält inne, schaut auf seine Hände und lässt sie wieder sinken. »Tut mir leid.«
»Muss es nicht. Ich habe ihn auch gemocht. Hat einen wahnsinnig gemacht, die kleine Nervensäge.« Mercer atmet hörbar aus. »Aber das ist alles, oder? Du hast nicht noch andere Interessen in dieser Sache?«
»Das ist alles.«
Die unerschrockene Rezeptionistin bewegt sich in ihrem Stuhl. Ihre Strümpfe sind es wohl, die dabei ein Geräusch verursachen, das Joes Aufmerksamkeit auf sie zieht. »Was würden Sie tun, wenn Sie frei handeln könnten, Mr Spork?«
»Ich kann frei handeln.«
»Na ja. Stellen Sie sich vor, es bestünde keine Gefahr. Was würden Sie tun?«
»Ich würde schlafen. Und duschen. Zu Harticles gehen und wegen meines Großvaters recherchieren. Seine Jazz-Schallplatten aus der Garage am Fluss holen und die verdammte goldene Biene! Ich will wissen, was hier vor sich geht!«
Oh.
»Also schön«, sagt Mercer. »Vielen Dank, Polly. Joe, es gibt Regeln für deine Situation. Okay? Als da wären: Such nicht nach neuen Bekanntschaften. Sei paranoid. Man hat dir die Peitsche gezeigt, irgendwann werden sie dir das Zuckerbrot hinhalten. Das wird eine Falle sein. Es gibt kein Zuckerbrot. Polly und ich sind deine einzigen Freunde. Mehr Zuckerbrot als uns kannst du nicht kriegen. Hast du das verstanden?«
»Ja.«
»Für etwa zwölf Stunden werden wir wohl eine Verschnaufpause haben. Etwas Großes geht vor sich, und du bist davon betroffen, aber solange du mich nicht absichtlich täuschst, was sehr schlecht wäre« – Joe schüttelt eifrig den Kopf –, »hast du eine Chance, da wieder herauszukommen. Wenn du demonstrativ begriffsstutzig und harmlos sein kannst – wenn du dich nach deinem letzten Zusammenstoß mit der sehr großen und beunruhigenden Welt der Mächtigen wie ein Maulwurf in deinen Hügel verkriechst und nicht mehr auftauchst –, dann besteht eine schwindend geringe, aber zufriedenstellende Möglichkeit, dass du in Zukunft nicht weiter belästigt wirst. Ich würde vermuten, dass dies überaus wünschenswert wäre, aber damit es so kommen kann, musst du dich klein machen.«
Joe überlegt. Mit einem Widerwillen, der ihn selbst verwundert, nickt er dann. Er versteht das Argument, kann gewiss sogar mehr damit anfangen als der wirbelnde Mercer selbst, dessen Leben voll ist von bedeutenden Momenten, öffentlicher Selbstdarstellung und gelegentlichen Katastrophen. Es ist der von Mathews Sohn erwählte Pfad: Sei ruhig, sei fügsam, lass die Welt über dich hinwegsteigen und um dich herumziehen, ohne dass sie dich bemerkt. Beug dich im Wind. Denn der hoch aufragende Baum wird vom Blitz getroffen, und das hoch aufgeschossene Getreide wird im Sturm geknickt. Das Versprechen eines Kindes: Ich werde ein Leben haben, keine Legende sein.
Doch hier und heute fühlt es sich eher wie Feigheit als wie Besonnenheit an. Billy ist tot, und Joe ist von den Schergen eines Parallelwelten-Englands in die Mangel genommen worden, in dem andere Regeln gelten. Irgendein bisher verleugneter Teil von ihm ist
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