Der goldene Schwarm - Roman
wütend und angriffslustig, will Antworten und Konfrontation, will beurteilt und für gut befunden werden und vor der unerschrockenen Rezeptionistin nicht klein wirken.
»Sie brauchen eine Dusche«, sagt Polly, »Mercer, er hat gerade einen Freund verloren, und er will etwas tun. Er muss sich waschen und eine Tasse Tee trinken und die ganze Sache ein Weilchen sacken lassen.«
»Das stimmt«, sagt Joe, weil Polly es sagt, und dann wird ihm klar, dass es tatsächlich wahr sein könnte. Seine Haut prickelt beim Gedanken an heißes Wasser.
»Eigentlich«, wirft Polly ein, »wäre ein Bad besser. Mit einer Ente. Und vielleicht auch etwas Toast.«
»Es gibt hier ein Badezimmer«, sagt Mercer mit leichter Skepsis.
»Wie ist es?«
»Gruselig, um ehrlich zu sein.«
»Dann wäre mir ein Hotel lieber«, sagt Joe streng. Auf weiteres Gruseln kann er nun wirklich verzichten.
Polly schüttelt den Kopf. »Er kann mit zu mir kommen.« Sie wirft Joe einen höflichen Blick zu. »Wenn Sie mögen. Sie sollten nicht in irgendeinem Hotel allein sein müssen. Ich habe jede Menge Platz, und Mercer weiß, wo er mich erreichen kann, wenn irgendwas passiert. Es ist unauffällig, und bei mir gibt es die Cradle-Knöpfe für Notfälle. Im Gästezimmer steht ein anständiges Bett, und es ist reichlich warmes Wasser vorhanden. Und die Gummiente können Sie sich von mir leihen.«
Irgendwie ist aus Gummiente plötzlich der erotischste Ausdruck der englischen Sprache geworden. Joe starrt sie an. Er betrachtet ihren Mund und fragt sich, ob sie es noch einmal sagen wird. Sie tut’s nicht.
»Sie haben wirklich eine Gummiente?«, fragt er hoffnungsvoll.
»Genau genommen habe ich zwei Gummienten«, bestätigt sie, »aber eine davon ist nicht mehr seetüchtig und befindet sich, wie man sagen könnte, im Ruhestand. Ich mag Enten.« Kurz sieht er ihre Zunge auftauchen, als sie das N ausspricht.
Ich mag Enten . Sie kann unmöglich gewollt haben, dass sich das so anhört. Hat es sich so angehört? Oder hat er sich das nur eingebildet? Mercer sieht jedenfalls recht unbeeindruckt aus. Fieberwahn. Selbstbeherrschung. Joe stellt fest, dass er sich wünscht, eine Ente zu sein, sehen zu können, was die Ente gesehen hat, auch wenn er dann natürlich nicht dazu in der Lage wäre, die Situation zu nutzen. Polly lächelt ihn ermutigend an.
»Siehst du?«, sagt sie zu Mercer. »Er sieht schon weniger wie eine tote Maus aus, wenn er bloß daran denkt.«
Joe fragt sich, ob er wirklich so gerne mit dieser Frau Sex haben will, wie er glaubt, oder ob nur die Nervenkrise aus ihm spricht. Und dann fragt er sich, was es über einen aussagt, wenn man sich fragt, ob man mit jemandem Sex haben will. Ganz gewiss ist das eine Sache, die man entweder will oder nicht. Er kommt zu dem Schluss, dass er zu viel denkt. Dann überlegt er, wie oft ihm dies pro Tag eigentlich auffällt, und bremst sich, da die unerschrockene Rezeptionistin ihn anschaut, als könne sie ihm jeden seiner Gedanken auf der Stirn ablesen.
»Mein Wagen parkt hinterm Haus«, sagt sie.
»Also gut.« Mercer stellt die Tasse ab. »Wir bleiben alle in Kontakt.«
Polly fährt einen von ihr heiß geliebten, stilvollen alten Volvo aus der Zeit, bevor diese Wagen gebaut wurden, um den Eindruck kastenartiger Robustheit zu machen; aus der Zeit, als Volvo ein grandioser europäischer Autokonzern mit einem Sinn für Kurven und Qualität war. Der Wagen selbst ist silbergrau und mit Chrom versetzt. Die braunen Sitze sind weich und duften nach Bienenwachs. Polly dreht den Zündschlüssel um, der Motor erwacht stotternd zum Leben und schnurrt dann wie eine schläfrige Katze, die Thunfisch wittert. Der Gurt ist ein richtiger, altmodischer Rennwagenschutz, und Joe hat einige Mühe, ihn umzulegen, nicht zuletzt, weil er unbedingt der unerschrockenen Rezeptionistin dabei zusehen möchte, wie sie ihren Oberkörper geschmeidig verschiebt, dann mit beiden Händen hinter sich greift, um die Verschlüsse einschnappen zu lassen und die Gurte über ihrer Brust straff zu ziehen. Muskeln bewegen sich unter ihrer Haut, und einen Augenblick lang kann er tatsächlich ihren Duft auf seiner Zunge schmecken. Er blinzelt angestrengt.
Sie lächelt. »Dieser Wagen«, sagt sie stolz, »hat 1978 in Monaco ein Straßenrennen gewonnen. Natürlich bin nicht ich gefahren. Aber ich war schon am Leben. Gerade so.«
Jetzt kennt er also ihr Alter – ein wenig älter, als er gedacht hätte, ein wenig jünger als er selbst. Wollte sie ihm das
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