Der goldene Schwarm - Roman
einen gesuchten Verbrecher zu erkennen, wenn er vor mir steht.« Und dann schaut er Polly Cradle an, sagt »Hallo« und schließlich: »Na schön, ich hab’s mir anders überlegt, ihr könnt reinkommen. Wie lautet mein Name?«
»Den hab ich nie gehört«, erwidert sie klug.
»Dich hat man ordentlich erzogen«, sagt Tam zufrieden, »nicht wie unseren Lochinvar. Hatte schon immer Probleme, der Junge.«
»Wir sind in einem gestohlenen Wagen gekommen, aber er wird mir einen mit besserer Federung besorgen, damit wir es wie die Karnickel treiben können, wenn wir auf der A 303 sind«, informiert ihn Polly heiter.
Tam schaut sie finster an und ächzt. »Gott«, sagt er. »Ich bin alt.« Er lässt die Tür offen und stapft mutlos ins Innere des Hauses.
Sie folgen ihm. Tam bewohnt einen Bungalow, und einen Fuß schleift er nach. Joe muss an den großen Dieb und Fassadenkletterer vergangener Tage denken und spürt eine gewisse Trauer in sich aufsteigen.
Das Haus ist vollgestellt und nicht sehr warm. Es wäre tröstlich, wenn es wenigstens einen gewissen mottenzerfressenen Glanz ausstrahlen würde, tut es aber nicht. Es sieht nur einsam aus. Auf Wandregalen stapeln sich alte Science-Fiction-Romane zusammen mit Ausgaben des European Timetable und einigen alten Magazinen. Ein Regal ist gänzlich ausgefüllt mit Rechnungsbüchern alter Frachtgesellschaften.
»Ich werde von der Polizei gesucht, Tam. Und Polly auch, nehme ich an.«
Tam antwortet Joe nicht direkt. Er wirft Polly einen Blick zu.
»Ich schwöre bei Gott«, brummt er, »er macht das nur, um mich zu ärgern. He!«, fügt er hinzu. »Wenn du’s mir nicht erzählst, kann ich’s nicht wissen, und dann kann man mir auch nichts anhaben, weil ich nicht die Bullen geholt habe, oder seh ich das falsch? Ich geh sowieso davon aus, dass hier bloß ein Junge mit ordentlichem Beruf mal so richtig angeben und einen alten Kumpel seines Vaters beeindrucken will. Du riesiger übermütiger Einfaltspinsel. Was willst du, Lochinvar? Du und dein Mädchen mit den unanständigen Füßen?«
»Ich brauche etwas, Tam. Es ist nichts Großes.«
Tam funkelt ihn an. »Du bist genau wie er. Er hat immer genau das Gleiche gesagt, und dann kam so was wie: Tam, alter Freund, mir scheint, die Gräfin von Collywobble hat zu viele Diamanten und wir haben zu wenige, also pack deine Steigeisen ein, wir werden die Nordwand des Collywobble-Herrenhauses erklimmen. Und eh ich michs verseh, sitz ich auf der Anklagebank und bitte um Gnade und plädiere auf scheiß Strafmilderung. Was suchst du denn?«
»Was immer er bei dir hinterlassen hat.«
Tam runzelt die Stirn. »Bist du sicher? Die Zeiten haben sich geändert, Joe. Für Mathews Art zu leben gibt es heute keinen Platz mehr.«
»Ich bin mir sicher.«
Tam schätzt ihn ab und nickt. »Musste fragen«, sagt er, »bevor ich dir das aushändige. Mathew hat es für dich deponiert. Sagte, du würdest es eh nie brauchen, hat es aber trotzdem dagelassen. Er hat ans Vorausplanen geglaubt, aber immer nur, wenn’s ihm in den Kram gepasst hat.« Er kritzelt etwas auf ein Blatt Papier: drei Ziffern, dann einen Buchstaben und drei weitere Zahlen. »Es ist gleich hier um die Ecke«, sagt Tam. »McMadden Lagerhaus. Sieht jetzt ganz modern aus, aber eigentlich hat sich nichts geändert. Die erste Nummer gibt die Tür an, die du nehmen musst. Der Buchstabe steht für das Stockwerk und die letzte Zahl für den Container. Ist natürlich alles abgeschlossen.«
»Wo ist der Schlüssel?«, fragt Polly Cradle.
Tam grinst. »Oh, na ja …«
Joe Spork grinst ebenfalls, und unter dem Schafspelz kommt kurz die Zunge des Wolfes zum Vorschein. »Wenn du einen Schlüssel brauchst, kannst du mit dem, was in dem Container ist, sowieso nichts anfangen.«
Polly überredet Joe, den Wagen nicht durch den Zaun krachen zu lassen, was sein erster Gedanke gewesen ist, und so schneidet er also den Draht durch – direkt unter einer Überwachungskamera. Sie erwartet, dass der Alarm losgeht, aber nichts passiert.
»Die meisten haben gar keinen«, sagt Joe leise, »und die, die einen haben – nun, es ist ja kein Wohnungseinbruch. Da taucht die Polizei erst am nächsten Morgen auf. Der Wächter wird nicht kommen und nach dem Rechten sehen, wenn er’s vermeiden kann. Selbst wenn die Kameras funktionieren, was bei dieser hier nicht sehr wahrscheinlich ist, weil sie nirgendwo angeschlossen ist. So funktioniert die Welt. Man geht einfach davon aus, dass du zu feige bist, um es darauf
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