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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Beschwerden? Unsere Sünden?
    Die Geschichte ist ein Brunnen, Mr Spork, tief eingegraben in die Schichten der Vergangenheit, durch die Gebeine des Wahnsinns und des Mordes. Wenn er überläuft, sind wir gut beraten, uns in Sicherheit zu bringen. Diese Maschine, dieser Anschauungsapparat, den Sie so ritterlich reaktiviert haben … ist ein hunderttägiger Regen. Tausendtägig. Er ist eine Flut, und ich bin nicht Noah. Ich bin König Knut, der den Wellen keinen Einhalt bieten kann.«
    Rodney Titwhistle hat sich in seinem Sitz herumgedreht, und sein Gesichtsausdruck ist jetzt drängend und flehend. Jeden Moment wird er, wie auf einem Rekrutierungsposter, seinen Finger ausstrecken. Melde dich freiwillig! Dein Land braucht DICH ! Um die Welt zu retten.
    Und Joe Spork ist nicht unbewegt. Natürlich nicht. Aber er hat keine Lösungen und weiß, dass er zwar noch nicht im Magen des Monsters gelandet ist, aber gewiss schon in seinem Schlund und schnurstracks auf die Kehle zusteuert. Er möchte das Ungeheuer nicht zum Schlucken ermutigen.
    Mr Titwhistle senkt seine Stimme, um Gravität zu vermitteln, und hebt zu seinem eindringlichsten Anliegen an. »Lassen Sie mich noch einmal von ganzem Herzen meine Frage stellen: Wie stellt man den Apparat aus? Wie kontrolliert man ihn? Wie haben Sie ihn angeschaltet? Und was haben Sie sich von alledem versprochen?«
    Joe blickt ihn an und weiß, dass Mr Titwhistle alles glaubt, was er gerade gesagt hat. Doch zur gleichen Zeit flüstert die Stimme des Nachtmarkts in seinem Inneren bedrückt, dass all diese Wahrheiten kunstvoll zusammengebraut worden sein könnten, um die eleganteste, überzeugendste Lüge zu fabrizieren.
    »Angenommen«, sagt Joe und stellt sich Mercers eifrigen Widerspruch vor, »nur hypothetisch angenommen, dass all das so ist, wie Sie sagen: Können Sie nicht einfach den Stecker ziehen?«
    Rodney Titwhistle nickt. »Das könnten wir versuchen. Aber wie sollten wir die Bienen zurückrufen? Und wie sollten wir wissen, dass wir zu hundert Prozent erfolgreich gewesen sind? Könnte ich in meinem unwissenden Herumpfuschen an der Maschine ihre Leistung nicht noch verstärken und Chaos und Verwüstung heraufbeschwören, mein Land und mich selbst vernichten? Oder einen Totmannschalter aktivieren und den Weltuntergang einläuten? Nein, da ist es weit besser, Ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dies muss richtig gemacht werden.«
    »Es tut mir leid«, sagt Joe wieder. »Ich weiß gar nichts davon.«
    »Nein, Mr Spork. Ihnen muss das nicht leidtun«, sagt Rodney Titwhistle. »Mir. Mir tut es leid.«
    Sie sprechen kein Wort mehr, bis Arvin Cummerbund mit dem Wagen in eine enge Straße und durch eine Reihe moderner Stahltore auf den Vorhof eines anonymen Sandsteingebäudeblocks mit weiten Schwingtüren einbiegt.
    »Also, da wären wir«, sagt Rodney Titwhistle in seinem »Unangenehme Notwendigkeiten«-Tonfall, während er Joe vom Rücksitz hilft. »Ich bin mir sicher, es wird sich alles zum Besten wenden.«
    Der Satz ist vertraut und pro forma, aber von seinen Lippen, hier und jetzt, klingt er wie eine Trauerrede. Es ist ein Gebet für die Sterbenden. Als sie sich auf die finstere, hässliche kleine Tür und die mit Linoleum ausgelegten amtlichen Räume dahinter zubewegen, spürt Joe, wie sein Leben an eine Art Wendepunkt gelangt. Er stählt sich für die Art von Tests, die Rodney Titwhistle womöglich an ihm durchführen wird, und fragt sich, was er sagen und tun und ob er mit all seinen Fingern und Zähnen daraus hervorgehen wird. Er wimmert tief in seiner Brust. Er möchte »Tun Sie das nicht« sagen, schämt sich jedoch und weiß ohnehin, dass Mr Titwhistle nicht weich werden wird. Und selbst wenn doch, wäre der leidenschaftslos seine Arbeit verrichtende Arvin Cummerbund zur Stelle, um es bis zum Ende durchzuziehen. Arvin Cummerbund, der Bürokrat, der von allem den Wert kennt, um ihn umso besser nehmen zu können.
    Joe wirft einen Blick nach links und sieht einen grauschwarzen Mercedes-Bus, dessen Fenster sehr dunkel eingefärbt sind, und daneben drei große Gestalten, die komplett in Stoff und Schleier gehüllt sind und schweigend warten. Noch mehr Vampire, und der Gedanke ist nicht halb so lustig und nicht halb so leicht abzuschütteln wie am helllichten Tag in seinem Laden. Drei gesichtslose Köpfe drehen sich langsam in seine Richtung. Rodney Titwhistle schaut sie nicht an, und daran erkennt Joe mit einem Übelkeit erregenden Schlag, dass sie es sind, denen er übergeben

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