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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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werden soll.
    »Wer sind die?«, fragt er leise.
    »Geister vielleicht«, antwortet Rodney Titwhistle ungewohnt verschroben, womöglich aber auch ein bisschen enerviert. Joe blickt ihn an, aber er winkt ab. »Technisch gesehen sind sie Auftragsarbeiter. Die Verhörmethoden, die sie anwenden, unterliegen natürlich ihrer gewerblichen Verschwiegenheit, und ihre Beurteilung übersteigt unsere Kompetenz. Sie versichern uns, dass alles, was Ihnen zustoßen wird, mit dem Gesetz in Einklang steht. Es ist nicht unsere Aufgabe, unsere Nase dort hinein zu stecken. Wir würden sogar Ihre Rechte unter dem Datenschutzgesetz verletzen, wenn wir es täten. Verstehen Sie? Niemand wird fragen. Wenn doch, würden sie nicht antworten. Ich habe dank eines kürzlich verabschiedeten Gesetzes die Befugnis, Sie ihnen zu übergeben. Wollen Sie den genauen Paragraphen wissen? Ich habe ihn irgendwo aufgeschrieben. Leider sind die meisten Details ohnehin zensiert.«
    Joe blickt wieder die Geister an und sieht, dass sie nicht allein sind. Hinter dem Bus parkt ein seltsames, gepanzertes Papamobil, und in ihm befindet sich eine weitere, bekannte Gestalt: ein Mann, der gebeugt dasitzt und den Joe als den Verschleierten erkennt, denjenigen, der in seinem Laden war.
    Das Gesicht des Mannes liegt im Schatten, doch er hat den spinnwebartigen Schleier über seine breiten Schultern geworfen, damit er im Dunkeln deutlich sehen kann. Eine unnachgiebige Bösartigkeit und eine schreckliche Erwartungshaltung gehen von ihm aus.
    »Sie werden Ruskiniten genannt«, fügt Rodney Titwhistle hinzu, »ein wohltätiger Mönchsorden. Sie residieren hier gleich um die Ecke, wie es der Zufall will, nettes altes Häuschen. Sie haben schon lange ein Interesse an dem Anschauungsapparat. Wenn wir ihn ausgeschaltet haben, werden sie ihn studieren. Sie beschäftigen sich mit der Auffindung des Göttlichen. Auf sehr unmoderne Weise unironisch, gewiss, aber sie verfügen über eine bemerkenswerte Expertise. Inspiriert von John Ruskin. Auch wenn ich gehört habe, dass sie sich in den letzten Jahren sehr verändert haben sollen – so sehr, dass der Begriff wohltätig vielleicht nicht mehr ganz zutrifft. Aber sie kümmern sich noch immer um die Waisen eines bestimmten Unfalls. Das muss man ihnen zugutehalten.«
    Joe Spork betrachtet das fremdartige Trio, das im Schatten darauf wartet, ihn mit sich in die Dunkelheit zu nehmen, und kann sich das sehr gut vorstellen. Er erinnert sich an die merkwürdigen Reiherschritte und das merkmalslose Stoffgesicht und fühlt sich wie ein kleiner Junge, der auf den Stufen einer überaus beängstigenden Schule zurückgelassen wird. Er wird ihnen alles sagen. Doch alles ist leider nicht sehr viel, und wenn kein Tropfen mehr in ihm ist, werden sie ihn weiter auswringen. Er wird aus ihrer Wohltätigkeit als Krüppel hervorgehen. Vielleicht an ihr sterben. Er atmet die feuchte Nachtluft ein und beschließt, jede Sekunde seines Lebens wertzuschätzen. Er gibt sich das Versprechen, dass er nicht weinen wird.
    Und dann, als er seinen Fuß auf die Betonstufen setzt, öffnet sich die Tür, und ein gelber Lichtstrahl fällt von der Empfangshalle auf sie. Drei Gestalten treten hindurch, als perfekter Kontrapunkt zu dem schwarz gewandeten Trio, das sich nähert. Rechts ein grobschlächtiger, wütender junger Mann in einem Trainingsanzug und in der Mitte der elegante Umriss eines maßgeschneiderten Anzugs. Links befindet sich ein Wachmann oder Soldat in Zivil, der beunruhigt und hektisch wirkt. Irgendeine Art von Entschuldigung kommt ihm bereits von den Lippen, aber seine Unschuldsbeteuerungen werden völlig überschattet von einem erfreuten Jodeln, das von den umgebenden Gebäuden widerhallt. Mr Titwhistle zuckt zusammen, als hätte man ihm einen Balken vor den Kopf geschlagen.
    »Joshua Joseph Spork, bei allem, was recht ist! Heiliger Himmel, man hat dir Fesseln angelegt, was für eine abstoßende Brutalität! Das einem Mandanten von mir … ich bin schockiert. Und du bist angesichts solch scheußlicher Provokation auch noch kooperativ gewesen. In diesem Zeitalter der Talkshow-Ausraster, Joseph, macht dich das zu einem Musterbeispiel an Tugend. Ist er nicht ein Musterbeispiel an Tugend, Mr Titwhistle? Wie buchstabiert man das übrigens, für unser Beschwerdeschreiben? Titwhistle , meine ich – nicht Musterbeispiel . Herzlichen Glückwunsch, Joe, du bist ein reicher Mann. Unser Rodney hier wird dir sein gesamtes Vermögen geben, oder zumindest das gesamte

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