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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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überhaupt mit Billy zu tun?« Joe sieht vor dem geistigen Auge Billys Leichnam unter der Decke, riecht den Verwesungsgeruch, und kurz steigt ihm der Mageninhalt in der Kehle auf.
    »Jeder wird es wissen, weil jeder es sehen wird. Anfangs werden die Bienen um die ganze Welt fliegen. Sie werden weitere Stöcke erwecken. Das Gerät ist darauf ausgerichtet, auf dem gesamten Planeten wirksam zu werden. Es wird – sollen wir sie Ausbrüche nennen? –, es wird Ausbrüche geben, während die Maschine auf ihrer niedrigsten Stufe arbeitet und die Schwärme noch unterwegs sind. Dann, wenn sie sich allesamt in Position befinden, wird sie aktiviert. Ich würde die konservative Schätzung abgeben, dass drei bis vier Millionen Menschen kurz darauf durch gewöhnliche menschliche Handlungen sterben werden. Morde und so weiter. Wenn die Maschine die zweite oder dritte Stufe einleitet, so wie ich sie verstehe – und ich räume ein, dass dies nicht die beabsichtigte Funktion des Gerätes ist –, steigt die Sterblichkeitsrate drastisch. Im schlimmsten Fall erreicht sie einhundert Prozent der Weltbevölkerung. Sie verstehen also, warum ich ein wenig unwillig bin, es so weit kommen zu lassen.
    Retrospektiv betrachtet hätte sie schon vor Jahren vernichtet werden müssen, aber Regierungen hassen es so sehr, Dinge zu entsorgen, insbesondere gefährliche Dinge. Wissen Sie, ich habe eine Schwäche für das Wort Retrospektive . Man könnte zum Beispiel sagen: Joshua Joseph Spork neigt zur Retrospektive, er ist also ein Mann, der aus seinen Fehlern lernt. So oder so, Mr Spork, ist der Bienenkorb nicht bloß irgendein Uhrwerksspielzeug. Es ist ein wissenschaftlicher Vorstoß von aberwitziger Komplexität, so geheim, dass niemand, der davon wusste, ihn verstehen konnte, und niemandem, der es hätte verstehen können, erlaubt werden konnte, davon zu wissen. Ein Gerät, das alles auf den Kopf stellt. Konsequenterweise können wir es ebenso gut eine Zeitbombe nennen. Es ist der Anschauungsapparat, den ich vorhin erwähnt habe. Wir sind, wie Sie sehen, ein wenig nervös wegen dem, was passieren wird, nun, da er aktiviert wurde. Also muss ich Sie fragen: Wie schalten wir ihn wieder ab?«
    Leugne, verbirg, weiche aus. Stell dich dumm. Was du in diesem Fall auch bist.
    »Oh, es tut mir leid. Ich habe nur … ich habe keine Ahnung.«
    »Nein, da bin ich mir auch beinahe sicher«, seufzt Mr Titwhistle. »Ted Sholt ist derjenige, an den ich mich wenden muss, nicht wahr?«
    »Ich denke, er könnte es sein.« Eine angenehme Vorstellung: der weltmännische Rodney Titwhistle, in seinem sauberen Wagen, wie er mit Ted in seinen übel riechenden Sandalen kämpft, der sackleinerne Kittel und die Öljacke gegen das Fenster gedrückt, und der irre Kriegsschrei Engelsschöpfer ! Obwohl … nein. Ted Sholt würde dabei nicht allzu gut abschneiden.
    Und dieses Wort: Engelsschöpfer . Es ist hier und jetzt weitaus weniger witzig. In Zeichentrickfilmen und Comicheften werden Engel gemacht, indem man Leute umbringt. Er sollte es erwähnen. Aber würden sie ihn dann nicht für alle Zeit einbuchten? Und bedeutet erwähnen in den wässrigen Augen des Rodney Titwhistle nicht ohnehin dasselbe wie gestehen ?
    Der Moment verstreicht. Rodney Titwhistle klatscht ganz leicht in die Hände, setzt einen Punkt.
    »Mein Problem zum Beispiel, Mr Spork, besteht darin – und es ist ein weit verbreitetes Problem in diesem heruntergekommenen Zeitalter …« – die Andeutung eines Nickens in Richtung der Horde vor dem Fenster, die über dem Surren der Reifen noch immer zu hören ist –, »dass ich zwar dafür bekannt bin, so gut wie unfehlbar zu sein, ich mich faktisch jedoch in einigen wenigen Fällen geirrt habe. Verstehen Sie?«
    »Wir irren uns alle mal von Zeit zu Zeit«, sagt Joe nervös.
    »Selbst in Angelegenheiten, in denen wir uns absolut sicher sind.«
    »Selbst dann.«
    »Das ist die Basis von René Descartes’ berühmter Doktrin, wissen Sie?«
    »Nein, weiß ich nicht.«
    Rodney Titwhistle lässt sich zu einem höflichen Seufzer leichten Tadels hinreißen.
    »Ein heruntergekommenes Zeitalter, ich habe es ja gesagt. Nun, Descartes stellte fest, dass es in seinem Leben eine Vielzahl von Situationen gegeben hatte, in denen er sich ganz sicher gewesen war und sich doch geirrt hatte. Er hatte geträumt, dass er vor einem Kamin an einem Essen mit Freunden teilgenommen hatte, während er in Wirklichkeit zu Haus im Bett gelegen war. Er hatte geglaubt, einen Adler gesehen zu

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