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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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haben, der sich später als Bussard herausstellte, der ihm viel näher gewesen war als angenommen. Nun, recht erbärmlich, aber der Mann war eben eher Mathematiker als Zoologe.«
    Mr Titwhistles nachsichtiger Gesichtsausdruck kann seine Gefühle gegenüber diesem Mangel an ornithologischen Kenntnissen nicht völlig verbergen.
    »Also hat er sich die Frage gestellt: Wenn ich von einem Dämon gefangen gehalten würde, der meine Sinne zu täuschen wüsste, wessen könnte ich dann noch sicher sein? Er führte eine Methode ein, alles anzuzweifeln, und letztlich blieb ihm nur die einfache Aussage, dass er, da er sich seiner eigenen Gedanken bewusst war, zumindest seine eigene Existenz nicht infrage stellen konnte. Das ist das berühmte: Ich denke, also bin ich. Verstehen Sie? Es klingt so trivial, bis man es in seinem Kontext sieht. Hier haben wir unseren René, der schon fast davon überzeugt ist, dass seine Seele zum Spielball der Dämonen geworden ist. Seine Geisteskraft hängt am seidenen Faden, und er findet dieses eine, winzige Klümpchen Wahrheit, und schon steht er da, umklammert es in seiner erhobenen Faust und sagt: ›Ich bin real! Ich existiere! Und auf diesem Felsen werde ich eine Philosophie der Vernunft errichten!‹ Es ist schon wirklich erstaunlich.«
    »Und, hat er es getan?«
    »Wie? Oh, nein. Er hatte Angst, von der katholischen Kirche bei lebendigem Leib verbrannt zu werden. Er sagte, Gott würde niemals zulassen, dass eine menschliche Seele derartig getäuscht würde. Ich weiß nicht, wo er dafür die Beweise gefunden hat. Kommt mir vor … nun ja. Der springende Punkt ist: Wenn wir etwas sind, dann Entitäten, die denken. Nicht homo sapiens , sondern res cogitans .«
    Dies scheint nach einer Bestätigung zu verlangen, also wagt Joe ein flaues: »Ich verstehe.«
    »Ich will damit sagen, dass die Wahrheit eine schlüpfrige Sache ist. Hm?«
    »Ja, das ist sie.« Ihm fällt nichts anderes ein, auch wenn die Alarmglocken in seinem Kopf schrillen.
    »Und wenn diese Schlüpfrigkeit in manchen Situationen auch von Nachteil ist, so ist sie doch unerlässlich für unsere Art zu leben. Die falsche Wahrheit im falschen Moment bringt Immobilienmärkte dazu, in sich zusammenzufallen, und Staaten dazu, sich zu bekämpfen. Wir können nicht zu viel Wahrheit frei zirkulieren lassen. Wir hätten überall Krieg. Mindestens ökonomische Krisen – na ja, und die kennen wir ja nun schon zur Genüge, nicht wahr?«
    Sie verdrehen beide die Augen. Der Wahnsinn der Banker.
    »Und um die Sache noch problematischer zu machen, wird auch noch behauptet, dass wir Menschen unfähig sind, überhaupt etwas zu wissen – im absoluten Sinne. Wir glauben. Wir theoretisieren. Aber wir können nicht unmittelbar wahrnehmen, ob unser Glaube dem objektiven Universum tatsächlich entspricht.«
    Mr Titwhistle seufzt tief. Erkenntnislehre ist eine grausame Disziplin.
    »Aber … was, wenn eine Maschine konstruiert würde, die als eine Art Prothese diente? Die unsere Sinne in den Bereich des Wissens erheben würde? Eine Maschine, die uns doch noch die Anschauung der Wahrheit ermöglichen würde?«
    Er nickt, als Joes Augen bei diesen Worten zu flackern beginnen. »Wir würden Wunder erblicken. Aber dann … alte Gräueltaten würden ans Licht kommen, alte Versprechen würden sich als Lügen erweisen … Die Wissenschaftler wiederum würden sich sorgen, dass eine solche Wahrnehmungssteigerung in letzter Konsequenz das Leben auf der Erde unbeabsichtigterweise für alle Zeit zerstören oder die Grundbedingungen dieses Universums so weit verändern würde, dass es keinerlei Bewusstsein mehr beherbergen könnte. Aber die Wissenschaftler haben’s ja immer mit ihrem Vorsicht ist besser als Nachsicht , nicht wahr?« Er lächelt nachsichtig: Die Narren und ihre kleinen Marotten.
    »Es tut mir leid«, sagt Joe, dessen Gedanken immer noch auf diesen Nachsatz konzentriert sind. »Den letzten Teil habe ich nicht verstanden.«
    Mr Titwhistle zuckt auf seinem Platz mit den Schultern. »Arvin, du hilfst mir, wenn ich vom Weg abkomme, nicht wahr?«
    »Natürlich, Rodney.«
    »Bei der Quantenphysik gerate ich immer ins Straucheln.«
    »Lass sie weg.«
    »Aber wird das nicht unsere strenge wissenschaftliche Integrität kompromittieren?«
    »Was sein muss, muss sein, Rodney«, sagt Arvin Cummerbund und drückt in einer philosophischen Geste mit seiner dicken Hand ziemlich lang auf die Hupe. Ein später Trinker wirft sich gegen die Motorhaube, zeigt den

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