Der goldene Thron
sich den Bart zu schaben. Offenbar hatte er nicht bemerkt, dass sie wach war. Isabelle erlaubte sich darum, ihn durch die halb geöffneten Augen ein wenig eingehender zu betrachten. Seine Schultern waren kräftig und sein Rücken breit mit einer langen Furche bis zu seinen Lenden. Als er die Hand hob, um das Messer über sein Gesicht zu führen, spannte sich die Haut über den Muskeln auf seinem Oberarm. Narben auf seiner Schulter, am Bein und an den Armen erinnerten daran, dass er ein Krieger war. Isabelle runzelte unwillkürlich die Stirn.
»Gut geschlafen?«, fragte der Maréchal, ohne sich umzusehen.
Isabelle erschrak und blieb ihm eine Antwort schuldig. Wie lange mochte er wohl schon wissen, dass sie wach war und ihn ansah? Isabelle glaubte, vor Scham zu ersticken. Was sollte siejetzt nur tun? Unter dem Leintuch war sie noch immer vollkommen nackt. Sie konnte doch unmöglich aufstehen und sich vor seinen Augen ankleiden!
Der Maréchal wischte sich die Seifenreste aus dem Gesicht und zog sich an. Er nahm das Messer, das er zum Rasieren verwendet hatte, drehte sich um und kam auf sie zu.
Isabelle riss die Augen auf, versuchte, das Zittern, das sie vor Furcht packte, zu verbergen, und zog das Laken bis zum Kinn hinauf. Sie drückte sich in die Kissen, als könnte sie dort Schutz finden. Was in Gottes Namen hatte er nur vor? Wollte er sich nun mit Gewalt holen, was er in der Hochzeitsnacht nicht bekommen hatte?
»Ich …«, stammelte sie atemlos und keuchte, als er das Messer erhob. Doch statt ihr damit zu drohen, ritzte er den Daumen seiner linken Hand auf. Mit vor Angst geweiteten Augen starrte Isabelle ihn sprachlos an, als er das Blut mitten auf dem Bett an dem Leinen abwischte.
»Hängt das Laken so aus dem Fenster, dass man den Fleck darauf sieht, Mylady!«, sagte er nicht unfreundlich und verließ ohne weitere Erklärung die Kammer.
Isabelle saß noch immer zitternd im Bett, als sich der Türriegel hob und Suzanne hineinglitt.
»Euer Gatte schickt mich, um Euch beim Ankleiden behilflich zu sein!«, flüsterte sie. »Isabelle, Herzchen, seid Ihr wohlauf?«, fragte sie besorgt, als ihr eisiges Schweigen entgegenschlug.
»Er hat mich nicht angerührt!«, flüsterte Isabelle immer wieder, unglaublich erleichtert und zugleich ein wenig enttäuscht. Sie war sicher gewesen, einen schlechten Menschen geheiratet zu haben, doch der Maréchal hatte sich keineswegs so benommen.
Suzanne sah auf das blutverschmierte Laken und seufzte leise. »Ist schon gut, mein Herz, es vergeht! Mit jedem Mal wird es leichter«, tröstete sie Isabelle, setzte sich neben sie auf das Bett und nahm sie in den Arm.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Isabelle nicht mehr schluchzte.»Ich glaube, er mag mich nicht«, sagte sie schniefend und sah Suzanne aus tränenverschleierten Augen an. »Ich schwöre, er hat mich nicht angerührt.« Isabelle deutete auf das blutverschmierte Laken. »Er hat sich in den Daumen geschnitten und gesagt, ich solle es aus dem Fenster hängen.« Sie rang nach Luft. »Es ist meine Schuld, ich bin eingeschlafen und …« Sie brach ab.
»Er hat Euch nicht …?«
»Nein!«
»Das ist in der Tat ungewöhnlich«, murmelte die Zofe und schüttelte verwundert den Kopf. Dann lächelte sie Isabelle aufmunternd an. »Na, seht Ihr, mein Liebchen, es ist alles gar nicht so schlimm!«
* * *
»Wenn er dir wehgetan hat, bringe ich ihn um!«, raunte Conall Isabelle zu, während er sich um Apollo kümmerte, der sich nach wie vor nur von ihm oder Isabelle satteln ließ. Er war stolz, den Hengst während der bevorstehenden Reise reiten zu dürfen. Isabelle wollte den milchfarbenen Zelter nehmen, den ihr der Maréchal zur Hochzeit geschenkt hatte. Conall konnte den Gedanken, dass sie nun einem Fremden gehörte, kaum ertragen.
»Nicht doch, mach dir keine Sorgen um mich!« Isabelle lächelte ihn zuversichtlich an.
Wie tapfer sie war! Oder hatte ihr die Hochzeitsnacht etwa gefallen? Hatte ihr der Maréchal nicht nur die Jungfräulichkeit geraubt, sondern auch schon ihren Widerstand und womöglich gar ihr Herz? Conall fühlte hilflose Wut in sich aufsteigen. »Wie kannst du nur zulassen, dass er dich anrührt, und dabei so ruhig bleiben!« Sein Herz setzte einmal aus, als Isabelle ihn plötzlich sanft mit dem Zeigefinger an der Kehle berührte.
»Du wirst ein Mann!«, sagte sie weich und lächelte. Dann sah sie ihm in die Augen. »Sorg dich nicht, Conall, er hat mich nicht angerührt!«
»Hat er nicht?«
»Nein.«
»Aber
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