Der goldene Thron
das sie über seinen Schultern teilten, und die Beinkleider ließen sie ihm. Dann hieß man ihn in goldbestickte Schuhe schlüpfen. Der Erzbischof von Canterbury träufelte ein wenig heiliges Öl auf Richards Haupt und salbte laut betend seinen Kopf, als Zentrum des Wissens, seine Brust als Vertreterin der Ehre und seine Arme, die für Tapferkeit standen. Dann bedeckte er das Haar des Herzogs mit einem gesegneten Stück Leinen und der Haube, die Godefroi de Lucy hereingetragen hatte. Als dies vollbracht war, kleidete man Richard in seine königlichen Gewänder, eine Tunika und eine Dalmatika, wie sie sonst nur Mitglieder des hohen Klerus trugen. Dann übergab ihm der Erzbischof das Reichsschwert, und zwei Grafen legten ihm die goldenen Sporen an, die Guillaumes Bruder hereingetragen hatte. Nachdem ihm noch ein Mantel über die Schultern gelegt worden war, wurde Richard wieder zum Altar geleitet, wo Mandeville inzwischen die Krone abgelegt hatte.
Der Erzbischof erhob dröhnend die Stimme. »Ich ermahne Euch, Richard, Herzog der Normandie, Sohn von Henry II., erdreistet Euch nicht, die Königswürde von England auf Euch zu nehmen, so Ihr nicht den festen Willen habt, Euren zuvor gesprochenen Eid und alle Schwüre zu halten. Darum sprecht mir nach: Mit der Hilfe des allmächtigen Gottes werde ich sie ausnahmslos einhalten.«
Richard wiederholte die Worte mit klarer Stimme. Als er jedoch nach der Krone griff und sie vom Altar nahm, um sie dem Erzbischof zu reichen, hielt Guillaume erstaunt den Atem an. Auchder Erzbischof schien zunächst irritiert, denn es war keineswegs vorgesehen, dass der zu Krönende selbst nach der Krone griff. Dann aber setzte der Erzbischof mit der Hilfe von zwei weiteren Grafen die schwere Krone auf das Haupt Richards. Er legte ihm das goldene Zepter in die rechte Hand und den Königsstab in die linke und rief: »Lang lebe König Richard!«
»Lang lebe König Richard!«, jubelten die Anwesenden im Chor. Beifall und Hochrufe wollten kein Ende nehmen.
Die Erzbischöfe von Durham und Bath geleiteten den König zurück zu seinem Thron und halfen ihm, sich zu setzen. Dann las der Erzbischof von Canterbury die heilige Messe, und als der rechte Augenblick für die Opfergabe gekommen war, führten sie den König erneut zum Altar, damit er die Abtei großzügig bedenke. Nachdem er eine Mark in Gold gegeben hatte, wurde König Richard zurück zu seinem Thron geleitet, wo er ausharrte, bis die heilige Messe beendet war.
Während der König in feierlichem Zug zu seinen Gemächern gebracht wurde, damit er die Kleider wechseln und die schwere Krone gegen eine leichtere tauschen konnte, begab sich Guillaume gemeinsam mit Isabelle, die im Hauptschiff der Krönung beigewohnt hatte, in den Palast von Westminster. Er plauderte ausgelassen mit alten und neuen Verbündeten, begrüßte Bekannte und genoss die bewundernden Blicke, die seiner Gemahlin galten, als er plötzlich den Herrn von Thorne in der Menge entdeckte.
»Sir Ralph!«, rief Guillaume und winkte. Er entschuldigte sich bei Isabelle, die mit einem älteren Baron ins Gespräch vertieft war, und eilte ihm entgegen. »Sag mir, mein Freund, wie geht es William? Du weißt schon, William FitzEllen!«, raunte er ihm ins Ohr, als er ihn umarmte.
Sir Ralph sah nicht gerade aus, als wäre er glücklich über diese Frage. »Nun«, druckste er herum. »Baudouin hat mich auch schon gefragt. Der Junge … ich … Ach was, du erfährst es ja doch!«, sagte er dann entschlossen. »William hat Thorne schon vor Monaten verlassen, ich war eine ganze Weile nicht da, und alsich zurückkam, war er fort. Niemand hat mir sagen können oder wollen, warum er gegangen ist und wohin.«
»Hat er sich etwas zuschulden kommen lassen?«, erkundigte sich Guillaume bang.
»Nein, nicht, dass ich wüsste. Ehrlich, mein Freund. Es hieß, er habe sein Bündel gepackt und sei einfach verschwunden. Er hat sich gut gemacht, Logan war zufrieden mit ihm, und doch …« Er zuckte mit den Schultern. »Es tut mir leid!«
»Guillaume, alter Freund!«, unterbrach jemand ihr Gespräch und tippte ihm von hinten auf die Schulter.
Guillaume sah sich ein wenig verärgert um, denn er machte sich Sorgen um William. Wohin konnte er nur gegangen sein?
»Erkennst du mich denn nicht?«, fragte der Mann in der abgetragenen Kutte und lächelte ihn gewinnend an.
Guillaume kniff die Augen zusammen und schüttelte ungläubig den Kopf. »Gildwin?«
Der Kleriker nickte.
»Wieder bei einer Krönung! Ist es
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