Der goldene Thron
sich. »Langsam, furchtbar langsam. Sie quält sich schon so lange.« Er seufzte lang gezogen.
»›Vater‹, kannst du nicht ein Mal ›Vater‹ sagen statt ›Mylord‹?«, fragte Guillaume mit sanftem Vorwurf.
»Nein.« William schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht!«, murmelte er.
»Schon gut, mein Sohn«, sagte Guillaume weich und räusperte sich. Sein Hals fühlte sich so rau an, als hätte er seit Tagen keinen einzigen Tropfen Wasser gesehen. Doch nicht Durst war es, sondern Angst, die ihm die Kehle zuschnürte.
»Sir Guillaume, endlich!« Rose, Thibaults einstige Geliebte, kam aus dem Haus gestürzt und schlurfte eilig auf ihn zu. Ihr ehemals so glänzendes schwarzes Haar war nun von einem schmutzigen Grau, und ein wenig schütter war es auch. Sie hatte es im Nacken zu einem Knoten gebunden und überprüfte mit einer fahrigen Geste, ob dieser noch fest saß.
»Rose!« Guillaume umarmte auch sie wie eine alte Freundin. »Wer sorgt jetzt für Euch? Arbeitet Jean noch in der Schmiede?«
Rose schüttelte den Kopf. »Er wartet bereits im Paradies auf unsere Ellen. Der Herr hat ihn vor zwei Wintern zu sich genommen«, erklärte sie und wischte sich die Tränen mit einem Zipfel ihrer Schürze fort. »Henry, ihr Jüngster, führt die Schmiede. Er ist ein guter Junge. Meine Söhne arbeiten für ihn und sind es mehr als zufrieden.« Rose rang nach Atem. »Geht zu ihr, Mylord, bitte, sie wartet schon so lange auf Euch«, flehte sie ihn an.
Guillaume fühlte einen schmerzhaften Druck auf seiner Kehle. Meinte Rose die Zeit, die Ellen sich schon quälte, oder gar all die Jahre seit Limoges? Er räusperte sich erneut, doch der Druckwollte nicht weichen. »Bring mich zu ihr, mein Junge!«, bat er William und legte ihm die Hand auf die Schulter.
Als sie die kleine Kammer mit der riesigen Bettstatt betraten, schlug ihnen der Atem des Todes entgegen. Sauer roch er und ein wenig faulig, wie Urin und Exkremente, ungelüftet und schal.
Das ist nicht mehr deine Ellen, die du hier vorfindest. Finde dich damit ab, eine Siechende zu sehen, sagte er sich. Vielleicht erkennst du sie nicht einmal, hämmerte es in seinem Kopf. Doch als er zu Ellen ans Bett trat und sie die Augen öffnete, wichen Krankenlager, Leid, Gestank und Trauer zurück, und es war ihm, als sähe er wieder das junge Mädchen aus Tancarville vor sich.
»Ellen!«, sagte er mit belegter Stimme und kniete sich vor ihr Bett. Er griff nach ihrer Hand. »Meine liebste Ellen!«
Hier in dieser Kammer, in diesem Bett hatte sie die Nächte mit Isaac verbracht. Der Stich in seiner Brust, den Guillaume bei dem Gedanken an den Schmied erwartet hatte, blieb aus. Stattdessen dachte er an Isabelle und daran, wie sehr er es liebte, an ihrer Seite einzuschlafen und morgens neben ihr zu erwachen.
»Dein Haar ist grau geworden«, sagte er sanft und legte die Hand auf Ellens Kopf, »doch deine Augen sind so grün wie eh und je.« Er lächelte sie an. »Ein ganzes Leben haben sie mich begleitet. Wann immer ich Trost brauchte, habe ich an dich und deine wunderschönen Augen gedacht. Im Heiligen Land, wo der Herr sich mir versagte, waren sie mein einziger Halt.« Mit leichter Hand strich er ihr über die glühende Wange.
»Guillaume!«, flüsterte Ellen schwach, dann lächelte sie. »Ich wusste, dass du kommen würdest. William, unser Sohn …«, sagte sie zum ersten Mal, drehte den Kopf ein wenig, um ihn anzusehen, und wandte sich wieder an Guillaume. »Er ist dir so ähnlich.« Sie lächelte und rang nach Atem. »Ich bin so unendlich stolz auf ihn!« Dann schnaufte sie. Ihr Brustkorb senkte sich, als sie ausatmete.
Guillaume starrte ihn an und wartete, dass er sich wieder mit Luft füllte, doch nichts geschah.
»Ellen!«, rief er, sprang auf und beugte sich über sie.
Starr und merkwürdig erloschen war ihr Blick. Jede Gemütsregung, jedes Licht war daraus verschwunden.
»Nein!«, schluchzte Guillaume auf, küsste ihre Stirn und verschloss ihre Lider mit einer sanften Geste. Er hätte ihr noch so viel sagen wollen! Dass er sie geliebt hatte, ganz gleich, was er in Limoges behauptet hatte. Dass er sie nie vergessen hatte und sie immer in seinem Herzen bewahren würde. Dass er William liebte und ebenso stolz auf ihn war wie sie. Doch es war zu spät.
Guillaume rannen die Tränen über das Gesicht. Er hatte in seinem Leben nicht oft geweint und war erstaunt über die Erleichterung, die er empfand, als ihn ein Schluchzen schüttelte. Sie musste gewusst haben, wie viel sie
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