Der goldene Thron
nach, die ihre kleinen Brüste zur Geltung bringen sollten, waren es junge Dirnen, die von älteren Huren angelernt wurden. Wo es viele Männer gab, waren liederliche Frauenzimmer niemals weit. Guillaume aber konnte den schamlosen Weibern, die mit unflätigen Bemerkungen auf Kundenfang gingen, nichts abgewinnen. Sie waren meist schmutzig und versoffen, laut und verlaust und kannten nur die eine Liebe – die zur Börse ihrer Kunden.
Mit großen Augen sah er sich die Auslagen der Händler an. Messer für die Jagd boten sie ebenso feil wie Schwerter, Kettenhemdenund Helme, die nach dem Kauf an den jeweiligen Träger angepasst wurden, aber auch Schmuck aus Holz, Silber oder Gold, Löffel und Heiligenfiguren aus Horn, allerlei Nützliches aus Leder wie Trinkschläuche, Becher und Geldbörsen, die man an den Gürtel hängen konnte. Guillaumes Münzbeutel war so gut wie neu, denn er hatte ihn bisher kaum gebraucht. Sein Vater hatte ihm die rehbraune Börse zum Abschied geschenkt. Vergeblich versuchte Guillaume sich, an das Gesicht seines Vaters zu erinnern. Angsteinflößend war es gewesen, zerfurcht und entstellt von hässlichen Narben, die er sich im Kampf zugezogen hatte, das war alles, was ihm im Gedächtnis geblieben war. Streng und unbeugsam hatte er den Vater in Erinnerung, von kalter Härte und ohne Liebe für den jüngsten Sohn. Trotzdem hatte Guillaume stets zu ihm aufgesehen und den Geldbeutel all die Jahre wie seinen Augapfel gehütet. Die Börse bedeutete ihm mehr als alle Reichtümer, denn seit Ares’ Tod war sie alles, was ihm von seinem Vater geblieben war. Guillaume tastete nach dem geschmeidigen Leder an seinem Gürtel und strich darüber.
Zwei Tage verweilten sie auf dem Platz, bevor der Wettstreit begann. Genug Zeit, um noch einige Male mit Bucephalus auszureiten und Rüstung und Waffen zu prüfen. Als er sein Schwert polierte, verlor sich Guillaume wieder einmal in Gedanken an Alan. Ob er sie je wiedersehen würde? Ein leises Stöhnen entfuhr ihm. Selbst wenn, würde er ihr doch niemals sagen können, was er für sie empfand. Ganz gleich, wie sehr er sich in den vergangenen Jahren danach verzehrt hatte, ihr nahe zu sein, und wie sehr sie ihm fehlte – ihre Wege lagen zu weit auseinander.
Unzählige Ritter waren gekommen. Aus dem Burgund und dem Limousin ebenso wie aus dem Anjou, der Champagne und dem Périgord. Sogar aus England und Schottland waren Männer mit großem Gefolge angereist.
Die Schotten, so fand Guillaume, waren die Auffälligsten unter ihnen. Sie trugen Röcke in den Farben ihres Clans und keine Bruchen darunter, sodass beim Reiten ihre nackten Beine bis zum Hinterteil zu sehen waren. Lange, struppige Haareund ungepflegte Bärte ließen sie wild und gefährlich aussehen. Die Aufmerksamkeit aller auf sich lenkend, ritten sie laut grölend durch das Lager, stampften mit ihren Pferden alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte, und verspotteten ihre Gegner als Feiglinge. Die Frauen in ihrer Begleitung waren ungeschlacht und ebenso raubeinig und versoffen wie die Männer.
Als Adam sah, dass Guillaume ihnen mit offenem Mund hinterhersah, winkte er ab. »Alte Männer!«, behauptete er, obwohl die meisten von ihnen vermutlich kaum älter waren als sie. »Trunkenbolde! Denen werden wir gehörig einheizen!«
»Worauf du wetten kannst«, sagte Guillaume grinsend. Er brannte darauf, sich endlich in den Kampf zu stürzen. Wenn nur Bucephalus ihn nicht im Stich ließ!
Tancarville, Anfang Januar 1168
E ine dünne, durchsichtige Eisschicht hüllte die kargen Äste der Laubgehölze ein und glitzerte in der weißen Mittagssonne. Zwei Winter und einen Sommer war es her, dass Guillaume Tancarville an der Seite seines Herrn verlassen hatte. Die klare, kalte Luft kribbelte in seiner Nase. Guillaume streifte einen Handschuh ab und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.
Bei den ersten beiden Turnieren hatte er einige Aufmerksamkeit auf sich lenken können. Nicht nur Bucephalus war durch seine Schönheit aufgefallen, auch er selbst hatte durch den geschickten Umgang mit Schwert und Lanze von sich reden gemacht und seinem Herrn allen Grund gegeben, endlich wieder stolz auf ihn zu sein. So hatte der Kammerherr ihm denn gestattet, auch bei den folgenden Wettkämpfen seine Farben zu tragen, während er selbst nach Tancarville zurückgekehrt war.
Guillaume atmete tief ein, hielt die feuchtkalte Luft kurz in seiner Brust fest und beobachtete dann das hauchfeine Wölkchen, das er seinem Mund
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