Der Goldkocher
Lips konnte hören, wie sie über den Einbruch sprachen. Lips wollte einem Gesellen ein Zeichen geben, nun die Seifenkugeln zu bringen. Plötzlich sah er draußen am Fenster ganz flüchtig das Profil eines Mannes. Lips zuckte zusammen, die Tür ging auf, und der Mann trat ein.
Lips stockte der Atem, und er traute seinen Augen nicht! Der Vater! Tullian stand in der Offizin, schwang galant einen Gehstock und blickte sich seelenruhig um. Er war vornehm in grüner Jägertracht mit schwarzen Aufschlägen gekleidet und trug wie ein Herr einen Hirschfänger an der Seite. Sein Blick blieb einen Wimpernschlag lang auf Lips ruhen. Dann sah Tullian hoch an die Decke mit den vier halbnackten Frauen, und Lips sah ein Lächeln über sein Gesicht huschen.
Der Apotheker nickte Tullian zu, unterhielt sich aber weiter mit der vornehmen Dame.
»Mein Gott! Diese Rohlinge!«, rief die Dame empört. Tullian stellte sich in die Nähe des Apothekers, sah sich um und hörte dem Gespräch wie beiläufig zu.
»Mein Gott, ein Einbruch!«, mischte Tullian sich in das Gespräch ein und wies mit seinem Stock auf den beschädigten Schrank. »Wie furchtbar diese Banditen gehaust haben!«
»Ja, und die Frau Pfarrer ist beinahe erstickt!«, sagte die Dame aufgebracht. »Ganz blau war sie schon!«
Der Apotheker nickte betroffen dazu. »Ja, meine liebe Tochter war schon in höchster Not!«
»Mein Gott!«, entfuhr es der Dame. »Die Ärmste!«
»Ja, mein Schwiegersohn, der Herr Pfarrer Porstmann, war kaum zu trösten über die Rohheit.«
»Diese Tataren!«, sagte Tullian und blickte zu Lips herüber. »Und wahrscheinlich haben sie alles Geld weggeschafft!«
»Das gottlob nicht!«, sagte der Apotheker. »Aber dort oben die Schaugefäße, die haben sie gestohlen! Es ist ein großer Schaden.«
»Mein Gott! Ist so ein Gefäß sehr kostbar?«, fragte Tullian.
»Jedes ein kleines Vermögen! Aber womit kann ich dem gnädigen Herrn dienen?«
Der Vater hüstelte. »Etwas gegen den Kodder auf der Brust. Und eine schwarze Salbe gegen Schäden an den Beinen.«
Lips saß leichenstarr da und beobachtete, wie der Vater die Arzneien einsteckte und sich vom Apotheker die Anwendung erklären ließ. Schließlich bezahlte er.
»Eine selten prächtige Apotheke!«, sagte Tullian und strich das Wechselgeld ein, ohne nachzuzählen. »Gott mit Ihnen, Herr Apotheker!«
Einen Moment traf Lips der völlig ruhige Blick des Vaters, dann war dieser hinaus. Er sah dem Vater nach, dessen Umriss noch einmal kurz durch das Fenster zu sehen war. Plötzlich stand der Apothekengeselle neben ihm am Tisch. »Noch die Sirupe?«
»Nein, nichts mehr«, sagte Lips. »Heute nichts mehr.« Mit flauen Knien ging er hinaus auf den Hof. Er eilte ans Tor und blickte dem Vater nach, der hinüber zum Mühlendamm schlenderte. Lips duckte sich weg, denn jetzt sah er den Schwarzen Frieder, der an der Ecke zum Nachbarhaus stand. Lips hockte sich und sah durch eine Ritze zwischen den Brettern, wie Frieder an einer Kette eine Taschenuhr hervorzog und missmutig darauf schaute, als habe ihn jemand versetzt. Frieder ließ seinen Blick noch einmal schweifen, dann folgte er Tullian mit etwas Abstand.
»Was ist denn mit dir los?«, rief der Viehknecht. Er stellte seinen Mistkarren ab, stemmte die Fäuste in die Hüften und sah neugierig zu ihm herüber, wie er geduckt am Tor stand. »Suchst was im Dreck oder was?«
32
Am folgenden Sonntag wurden zwei Knechte von kräftiger Statur abgestellt, um während des Gottesdienstes das Haus zu verwahren. Anna lag nicht mehr zu Bett, wie am Gesindetisch erzählt wurde. Sie verließ ihre Kammer wegen ihres zerschlagenen Gesichts jedoch nicht. Die Waschmagd wollte – wie es hieß – nicht mehr mit Anna die Kammer teilen, weil sie nun unrein wäre, und war deswegen zu Pfarrer Porstmann gegangen. Der hatte sie wieder an die Arbeit zurückgeschickt, aber zugesagt, dass er mit dem Apotheker sprechen würde und Anna eine Stube für sich bekam. Anna zog dann in die Dachkammer vom dummen Heinrich, der nun beim Gesinde einquartiert wurde.
Voller Hass auf den Vater, gleichzeitig auch Schuld und Scham, Anna nicht beigestanden zu haben, sah Lips immer wieder hoch zu Annas Dachfenster. Er wollte doch nur nach dem Stein der Weisen forschen! Jetzt, wo alles so gut bestellt war, kam der Vater und machte alles wieder zunichte! Er drängte sich in sein Leben und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen – so wie bei Arnold damals. Der Vater würde wiederkommen, ahnte Lips. Und nie
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