Der Goldkocher
einen Stapel beschriebener Papiere mit alchemistischen Zeichen. Dippel richtete das Laboratorium also auch zur Suche nach dem Stein der Weisen ein.
»Ja, schau dich nur um!«, sagte Dippel und sah ihn keck an.
»Und was macht Er dann mit dem Lebensgeist?«, fragte Lips schnell.
»Ihn anderen Tieren wieder einflößen, denen das Leben gerade vergangen ist.«
»Das geht?«
»Noch nicht, aber ich bin auf dem Weg zur Erkenntnis. Nicht auszudenken, wenn es auch bei Menschen funktioniert.«
»Auch bei Menschen?«
»Vielleicht.«
»Tote sollen wieder…« Lips suchte nach einem Wort. »Auferstehen?«
»Später, später. Die Versuche sind noch ganz am Anfang.« Dippel sprach jetzt ganz leise. »Es sind keine ganzen Leichen zu bekommen, immer nur mal ein Arm oder ein Bein von den Wundbarbieren. Ich füge zusammen, was ich bekommen kann. Für einen ganzen Menschen hat es noch nicht gereicht. Und das Hirn darf noch nicht grützhaftig sein … am besten ganz frisch vom Richtplatz.« Dippel schwenkte die Flüssigkeit in einer Flasche, entkorkte sie und hielt sie Lips zum Riechen hin. »Hier, der Lebensgeist von einem Hund. Du willst nicht? Na, vielleicht später. Wie gesagt, man muss sich etwas an den Gestank gewöhnen.«
Dippel lächelte, schob auf dem Tisch ein paar Bretter mit Kadavern zur Seite und suchte nach etwas. »Es sieht hier auch nicht gerade christlich aus, nicht? Du musst wissen, dass der Ursprung der Krankheiten nicht der Körper ist, wie uns die Herren Medicis weismachen wollen! Nein, es ist der Lebensgeist, der kränkelt und geheilt werden muss. Die Herren Medicis stehen alle auf dem falschen Bein, wenn sie den Körper mit großem Aufwand kurieren wollen. Und den Herren Apothekern geht es auch nur um die hohe Taxa. Unter uns: Für die Krankheiten des Leibes braucht man nicht mehr als kalte Fußbäder. Meist genügen auf einige Wochen Wasser und Brot. Übrigens sind die im Kerker auch die Gesündesten!« Dippel lachte auf. »Wenn man sie nicht gerade auf die Folter spannt.«
Lips zuckte beim Wort Folter zusammen.
»Böttger hat auch destilliert, wie ich hörte?«, fragte Dippel.
»Ja, Phosphor.«
»Aus seiner Pisse, wie ich hörte!« Dippel legte ein paar Nägel, Hammer und Drähte in eine Reihe neben einem großen Brett. Dann kramte er in einem Haufen mit Instrumenten und zog eine Schraubzwinge hervor. Lips musste wegsehen, wie Dippel an der Schraube hin und her drehte, ob sie auch gängig war. Er drehte sich weg und musste sich bezwingen, nicht Hals über Kopf hinauszustürmen.
»Ja, schau dich nur weiter um, mein Freund«, sagte Dippel hinter seinem Rücken. »Du wirst dich ohnehin fragen, warum ich dich hergebeten habe. Ich hab ein unverstelltes Naturell und sag's frei heraus wie ein Ochsenfurz: Ich will die Burg Frankenstein erwerben…«
Lips atmete gegen die Bilderflut, die kaum niederzudrücken war.
»…ja, die Gelegenheit ist günstig, der Graf, dem sie gehört, ist geldklamm. Meine Eltern sind im Krieg auf Burg Frankenstein geflüchtet; ich bin dort geboren. Damals war es ein Lazarett. Ich hab zwischen den Sterbenden das Laufen gelernt. Der Tod hat mich nie erschreckt.« Dippel sprach leise, mehr für sich. »Vielleicht kommt ja daher meine Neigung.«
Lips hörte, wie Dippel die Schraubzwinge wieder auf den Tisch legte. Es pulste wild in ihm, und er spürte das Wasser aus seinen Poren schießen.
»Ich brauche einen Ort, an dem ich in aller Stille meine Versuche anstellen kann. Hier in Berlin passiert alles mit viel Geschrei. Einer spioniert hinter dem anderen her. Jeder will der Erste sein! Und dieser Leibniz mit seiner Akademie! Der will doch nur alle Chymicis unter seiner Fuchtel haben! Hör zu: Ich will auf Burg Frankenstein ein Laboratorium einrichten und nach dem Stein der Weisen suchen, aber auch nach dem Lebensgeist. Hast du dich einmal gefragt, was passiert, wenn man dem lebendigen Quecksilber den Lebensgeist entnimmt? Es wird kostbares totes Silber. Ich muss es bei dieser Andeutung lassen, du wirst mich verstehen. Ich brauche drei, vier Laborknechte mit gutem chymischen Verstand. Und zuverlässig müssen sie natürlich sein. Äußerst zuverlässig.«
Dippel bückte sich, ließ sich von dem Straßenköter die Hand lecken und sah Lips fragend an, der sich mit dem Ärmel die nasse Stirn wischte. »Der Apotheker und der Porstmann werden dich nicht freigeben wollen, wie ich mitbekommen habe. Sie setzen stark auf dich. Besonders dieser Pfarrer Porstmann, der sich von seinen
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