Der Goldkocher
vorher doch noch extra nachfragen lassen. Wir sehen uns wieder, mein Freund! Die chymischen Gespräche, die ich mit Böttger hatte, fehlen mir doch sehr! Und mit Dippel, diesem Leichenschänder… Na ja, lassen wir das.«
Auf der Treppe drehte er noch einmal um und kam zurück ins Laboratorium. Mit dem Stock wies er auf die Tiegel mit den Gemischen aus Berliner Blau und den Säuren. »Unter uns Kollegen: Was ist das für eine Materie?«
»Arsenicum«, log Lips.
»Aber die Farbe! Merkwürdig! Und flüssig?« Kunkel schüttelte verwundert den Kopf und sah ihn an, als wüsste er um die Lüge. »Interessant! Interessant! Vielleicht kann ich ja noch etwas von dir lernen? Du gibst sicher einen guten Laborknecht ab. Überleg es dir. Aber ich will dich ja nicht abwerben. Nichts liegt mir ferner! Nun, ja, aber ich weiß ja beim besten Willen nicht, was das hier werden soll! Ich werde einfach nicht klug aus Pfarrer Porstmann! Er wird so hitzig, wenn es um die fleischlichen Sünden…« Kunkel lächelte mit schlüpfriger Miene und buhlte um Lips' zustimmendes Lachen. »Also wenn du eine Stellung als Laborknecht suchst? Überleg es dir! Bis demnächst wieder!«
Lips schloss die Tür hinter Kunkel. Das Kücken piepste in seiner Hand. Er strich ihm über den Kopf, dann kniete er sich hin und hielt es über den mittleren Tiegel. Ein kurzes Aufbäumen, dann lag das Kücken schlaff in seiner Hand. Er nahm die Tiegel mit langem Arm und leerte sie in einem halbvollen Wassereimer aus, fasste die toten Tiere mit einer Zange und warf sie dazu, dann ging er hinaus auf die Straße. Lips nahm ein Brett über der Gosse hoch, schüttete alles in die brackige Brühe und trat das Brett wieder fest. Bevor er zurückging, sah er noch einmal hoch zu den Fenstern und hörte für einen Augenblick dem Klagelied der Frau des Apothekers zu. Dippel war königlicher Hofalchemist! Das hatte Pfarrer Porstmann nicht erzählt. Aber er durfte sich nicht aufstacheln lassen. Nein, es ging um etwas Großes. Und er wollte vertrauen! Es war ja eigentlich auch nicht wichtig.
36
Beim nächsten Kirchgottesdienst konnte Lips der Predigt nur über einige Sätze folgen. Es sprach – wie es in letzter Zeit regelmäßig vorkam – ohnehin nur Pfarrer Schade, der zweite Prediger der Nikolai-Kirche, welcher sich an den Sonntagen mit Pfarrer Porstmann abwechselte. Der ließ sich in lauen Worten über bloße Lippenbekenntnisse und Mundbeichten aus und mahnte tiefes Gott-Erleben an, welches jeder erfahren könne, der seine Sünden ernsthaft ablege und still, ganz für sich, in seiner Kammer dem Herrn lausche.
Lips hatte schon öfter versucht, dem Herrn zu lauschen, wenn er zur Nachtruhe lag und ein Vaterunser betete. Er lag ganz still und horchte ganz angespannt, hatte dann aber nur das rhythmische Rascheln des Bettstrohs gehört, wenn der Viehknecht Hand an sich legte. Vielleicht sprach Gott auch nicht zu ihm, überlegte Lips manchmal, weil seine Seele nicht frei von Sünde war. Seine Herkunft hatte er Pfarrer Porstmann verschwiegen und einen falschen Namen angegeben, dann die erdrückende Schuld, die er an Arnolds Tod hatte. Je länger Lips darüber nachdachte, desto mehr fiel ihm ein, und ihm kam sein Dasein als ein verlogenes Leben in Schuld und Sünde vor. Die Sache mit dem Opium, an dem der Sohn der Zornin gestorben war! Und er spürte eine Schuld besonders Pfarrer Porstmann gegenüber, der so viel für ihn getan hatte, ihm ganz vertraute und die Versuche ermöglichte. Und er spürte Schuld an dem Unglück, das der Vater über die Frau Pfarrer gebracht hatte. Seit sie so misshandelt worden war, verließ sie kaum noch ihre Wohnung.
Jetzt beim Gottesdienst ging sein Blick immer wieder zum Apotheker, der ganz vorne in der zweiten Reihe seinen Platz hatte. Der Verdacht, dass Anna nachts in die Bibliothek schlich und dem Apotheker mit ihrem Leib zu Diensten war, ließ ihn nicht mehr los. Lips sah von hinten dessen ausladende Sonntagsperücke, die von den anderen Perücken durch das blütenreine Weiß abstach. Der Apotheker hielt während der Predigt den Kopf andächtig geneigt. Manchmal nickte er zustimmend, worauf er jedes Mal mit spitzem Finger die Locken ordnete, als wären sie in Unordnung geraten.
Lips stieß dem Viehknecht in die Seite, als dieser hörbar säuselte. Eine Weile hielt dieser den Kopf aufrecht und kämpfte gegen den Kirchenschlaf. Dann pendelte das Kinn wieder auf die Brust, und Lips musste ihn wieder stoßen. Beim Gebet drehte er sich um und sah
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