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Der Goldkocher

Der Goldkocher

Titel: Der Goldkocher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Adloff
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auf Böttgers Bestellliste richtig im Gedächtnis hatte, und blätterte den Packen durch, fand sie aber nicht und wunderte sich. Ihm wurde plötzlich ganz heiß. Im Regal lag noch ein Packen mit älteren Aufzeichnungen, die er lange Zeit nicht in den Händen gehabt hatte, und er durchsuchte diesen. Nichts. Lips blickte sich im Laboratorium um, durchstöberte fieberhaft alle Ecken, was ihm nutzlos vorkam, denn auf sein Gedächtnis konnte er sich immer verlassen. Dann durchsuchte er nochmals den Packen mit den letzten Aufzeichnungen. Jedes Blatt fasste er einzeln an, aber nichts! Die Listen von Böttger waren verschwunden.
    Obwohl Lips wusste, dass er die Listen nicht mehr finden würde, durchsuchte er alles noch einmal. Da fiel sein Blick auf das Gefäß von Dippel mit dem Berliner Blau. Er haderte ein wenig, dann nahm er das Gefäß aus dem Regal. Frieder hatte davon gesprochen, dass der Vater eine Arznei gegen den Kodder auf der Brust brauchte. Mit angehaltenem Atem füllte Lips etwas vom Berliner Blau in eine Flasche und mischte Salzsäure dazu. Nie würde der Vater ihn in Ruhe lassen. Nie! Und was er Anna angetan hatte!
    Er verkorkte die Flasche gründlich, schwenkte sie entschlossen, dann stellte er sich ans Fenster und wartete. Als das Läuten der Glocken zum Nachmittagsgottesdienst mahnte, steckte er die Flasche mit der Blauen Säure ein, schloss das Laboratorium ab und ging mit festem Schritt zum Schwarzen Adler.
    Der Wirt schickte ihn in die obere Etage. Lips horchte erst. Drinnen wurde gesprochen. Er hörte schwere Stiefel, dazwischen ein raues Husten. Nach dem Klopfen ging die Tür einen Spalt auf. Lips sah Frieders Augen, die an ihm vorbei den Treppenaufgang erkundeten, dann winkte Frieder ihn mit seinen Spinnenarmen hinein. Auf einem Stuhl neben der Tür lagen zwei Pistolen: die Hähne gespannt und mit Zündhütchen zum Schuss bereit.
    Tullian saß halb aufrecht in einem Bett und legte eine Pistole zur Seite. In seinem Arm lag die junge Frau, die Lips schon einmal vor dem Gasthaus an der Seite des Vaters gesehen hatte. Sie war etwa so alt wie Lips, trug nur ein Untergewand und sah ihn abschätzend an. Der Vater musste Hartes in der Kerkerhaft durchgestanden haben. Sein Gesicht war hohlwangig und mit Pusteln gebeult, an einigen Stellen war die Haut roh aufgebrochen. Um die Unterarme hatte er Leinenstreifen gewickelt.
    Tullian blickte nur kurz auf. »Was glotzt du so!«, herrschte er die Frau an. »Mach schon!« Er fasste sie am Schopf und drehte ihren Kopf, sodass sie ihn ansehen musste – wobei sie eine geile Fratze machte und anzüglich ihre Zunge herausstreckte. Frieder lachte auf. Der Vater hob das Bettdeck an und drückte ihren Kopf darunter. Mit der anderen Hand fasste er unter ihr Brusttuch und walkte ihre Brust so fest, dass sie unter dem Bettdeck aufjaulte.
    Lips stand versteinert da und mied den Blick des Vaters. Der musterte ihn einen Augenblick, dann beugte er den Kopf vor und sah mit halb offenem Mund dem Auf und Ab unter dem Bettdeck zu. Der Vater zog dabei einen widerwilligen Flunsch. Es wogte in Lips. Schlagartig war sein ganzer Hass wieder da, die Verachtung und gleichzeitig spürte er, dass ihn die Angst und Ohnmacht wie ein Schatten anflog.
    »Schluss!«, rief Tullian plötzlich. Er zog die Frau am Schopf zurück und hielt sie so einen Augenblick fest. Mit den Augen eines gründlich abgerichteten Hatzhundes, der auf einen Befehl wartete, sah sie zu ihm auf. »Raus jetzt!« Geschwind wälzte sie sich aus dem Bett. Sie strich im Gehen ihr Unterkleid über den Schenkeln aus, fasste nach ihrem Kleid und eilte mit gesenktem Kopf hinüber ins Nebenzimmer.
    »Hänge schon richtig an der Kleinen!«, sagte Tullian und blickte ihr nach.
    Frieder langte nach einer Flasche Wein und ging hinterher.
    »Gib ihr nicht so viel zum Saufen!«, rief Tullian.
    Die Tür blieb einen Spalt offen.
    »Deine Mutter hat auch zu viel gesoffen!«, sagte Tullian in vorwurfsvollem Ton, als wäre Lips schuld daran gewesen. »Ich will den Gestank nicht. Ekelt mich, so was.«
    Aufstöhnend setzte sich der Vater auf die Bettkante, wobei Lips die durchsuppten Verbände an den Beinen sah. Er spürte die Angst immer weiter in sich hochkriechen. Es war ihm, als stände er wie damals in der Grabich-Schenke und wartete darauf, dass der Vater ihm etwas befahl. Mit jeder Sekunde nahm die Macht des Vaters über ihn zu. Er glaubte in sich zusammenzufallen, spürte seinen Willen bröckeln und kämpfte gegen sein Inneres an. Er

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