Der Goldkocher
trat ein.
»Ich war im Schwarzen Adler«, sagte er ganz ruhig und nahm ein Rohr prüfend in die Hand. »Du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen. Dein Vater wird dir nie wieder lästig fallen. Ich habe dem Wirt ein gutes Handgeld gegeben. Er ist hoch in die Stube deines Vaters gegangen und hat ihn vor einer Visitation gewarnt. Der Wirt hat deinem Vater gesagt, dass er keinen Ärger mit den Kochemern haben will. Und das Kopfgeld auf einen gewissen Tullian wäre auf hundert Taler erhöht.«
»Aber sie werden irgendwann herausbekommen, dass es…« Lips hatte das Wort ›gelogen‹ auf den Lippen.
»Du meinst, dass es gelogen ist?« Der Pfarrer nahm ein zweites Rohr und steckte beide zusammen. »Nein, es ist nicht gelogen. Das Kopfgeld ist erhöht, und es wird morgen einige Visitationen in der Stadt geben. Auch im Schwarzen Adler werden alle Stuben durchsucht. Der Herr Justizrat von Haugwitz steht der Aktion persönlich vor. Das Diebsgesindel hat in letzter Zeit stark überhand genommen, und wir wollen es beizeiten aus der Stadt haben. Du weißt, bevor der Stein der Weisen gefunden ist.«
Erleichtert und bewundernd zugleich sah Lips zu Pfarrer Porstmann auf.
»Kein Wort zu irgend jemandem darüber!« Der Pfarrer blickte durch das zusammengesteckte Rohr. »Zu niemandem! Es ist ein Geheimnis ganz allein zwischen uns beiden. Auch der Herr Apotheker braucht nichts darüber zu erfahren, denn ich weiß wirklich nicht zu sagen, ob er dir deine Lügen verzeihen würde, mit denen du dich hier eingeschlichen hast. Kümmre dich jetzt nur noch ums Goldkochen und versuche deine Schuld wieder gutzumachen.«
Der Ton war ungewohnt hart, ja fordernd, und hatte nichts von der Milde, mit der Pfarrer Porstmann sonst zu ihm sprach. Der Pfarrer machte eine bedeutsame Pause und zog die Rohre wieder auseinander.
»Lips, ich vertraue dir, aber die anderen Mitglieder unserer Gemeinde werden ungeduldig und drängen, dass du bald eine erfolgreiche Probe ablegst! Alle in unserer kleinen Gemeinde setzen stark auf dich. Schließlich geben wir große Summen für dein Laborieren hin. Jede Woche machen wir bei unseren Versammlungen oben in der Bibliothek eine Kollekte. Aber irgendwann ist die Geduld erschöpft. Lips, wir brauchen ein Zeichen, dass du ein wirklicher Adept bist!« Pfarrer Porstmann klopfte mit den Rohren nervös aufeinander.
»Du musst nämlich wissen, dass Dippel eine Goldprobe angekündigt hat.«
»Dippel?« Lips war entsetzt, und einen Augenblick lang verschlug es ihm die Sprache. »Eine Transmutation oder…«
»Ich verstehe nichts von der Alchemie, aber Dippel hat große Mengen angekündigt. Herr von Haugwitz wird heute Abend unserer Gemeinschaft berichten, was er über die Vorbereitungen erfahren konnte. Ich möchte, dass du an unserer Versammlung teilnimmst. Die Herren wollen sehen, wem sie ihr Erspartes hingeben, und vielleicht kannst du etwas Wichtiges über die angekündigte Probe erfahren. Ach ja, und kein Wort über die Liste! Nur wir beide und der Herr Apotheker wissen davon.«
***
Mit dem Schlagen der Kirchglocke zu acht Uhr zog Lips sich den Sonntagsrock über und ging hoch. Er wartete vor der Bibliothek. Dumpf hörte er Stimmen darin. Lips wollte sein Ohr an die Tür legen, da ging die Haustür auf, und der Herr von Haugwitz und Herr Rücker gingen an ihm vorbei in die Bibliothek. Beide wirkten aufgebracht. Lips grüßte und verneigte sich. Von Rücker wusste er, dass dieser Inspektor der königlichen Porzellankammer und Mitglied des Deputierenausschusses war, vor dem Lips damals im Waisenhaus gestanden hatte. Rücker gab sein Vermögen für die Missionierung her. Wie es hieß, ließ er das Porstmannsche Gesangbuch wagenweise in Schlesien verteilen. Es sollten schon über 9.000 Exemplare gewesen sein.
Als die Tür für einen Augenblick offen stand, sah Lips, wie der Herr von Haugwitz Pfarrer Porstmann mit dreifachem Bruderkuss auf Wangen und Mund begrüßte. Kurz darauf winkte der Apotheker Lips herein. Im Halbkreis saßen Pfarrer Porstmann, daneben der Apotheker, Herr von Haugwitz, Herr Rücker, zwei Herren in guter Kleidung, die Lips noch nie gesehen hatte, dann ein Offizier der Schweizergarde des Königs sowie der Hofschneider Bolich aus der Paddengasse. Über Bolich war am Gesindetisch hinter vorgehaltener Hand erzählt worden, er wäre mitten in der Nacht vom Satan ergriffen worden. Über eine halbe Stunde habe er wirr geklagt und so heftig geschrien, dass man es auf der ganzen Gasse gehört hatte.
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