Der Goldkocher
›Insel der Erwählten‹ bauen. Lasst uns weiter an der Regimentsverfassung für unseren Staat Gottes arbeiten, auch die Vorkehrungen an den Stadttoren müssen gut durchdacht sein, denn wenn der große Tag gekommen ist, wird unsere Festung Gesindel in großer Zahl anlocken.«
»Damit müssen wir rechnen!«, sagte Haugwitz. »Und nicht nur Bettelvolk wird herbeiströmen! Übrigens unser Böttger! Er soll geflohen sein.«
»Geflohen?«, fragte Pfarrer Porstmann erstaunt.
»Ja, aus der Festung in Dresden. Man weiß nicht, wohin.«
»Vielleicht kommt Böttger ja wieder zurück!«, sagte Rücker. »Ich meine, wenn er es überhaupt mit heiler Haut über die Grenze schafft!«
»Nein«, sagte der Apotheker nachdenklich. »Böttger wird nicht zurückkommen. Hier würde ihn der König sofort einkassieren! Ich meine…«
»Brüder!«, unterbrach Pfarrer Porstmann und sah in die Runde. »Ich denke, die anderen Dinge sollten wir ohne Lips besprechen!« Er hob an weiterzusprechen, da streckte Rücker wie ein Schuljunge den Finger in die Höhe.
»Wann wirst du denn eine Probe ablegen? Ich meine, das geht da unten doch schon eine ganze Weile!«
»Ehm…« Lips sah Rat suchend Pfarrer Porstmann an.
»Wir sollten ihn wirklich nicht bedrängen«, sprang ihm Pfarrer Porstmann bei. »Die Natur lässt sich nicht forcieren, wie Dippel einmal gesagt hat. In dem Punkt hatte er nun wirklich einmal Recht. Geh jetzt, Lips!«
***
Als Lips am nächsten Morgen über den Hof ging, schüttete Anna einen Bottich vor dem Waschhaus aus. Er grüßte mit einem Nicken. Sie erwiderte den Gruß nur flüchtig und drehte sich gleich wieder um. Noch nicht einmal bedankt hatte sie sich für die Arznei, um das Bankert rauszutreiben! ›Hure!‹, schoss es Lips durch den Kopf, und im gleichen Augenblick wusste er um seine Ungerechtigkeit, aber er wollte nicht gerecht sein. ›Hure! Ja, Hure!‹ Wie sie alle gereizt hatte und er sich ein schlechtes Gewissen wegen der Bilder gemacht hatte!
Er stürzte sich in die Arbeit. Wieder und wieder stellte er die Versuche von Böttger nach. Er verbrauchte große Mengen an Quecksilber, sodass ihm von den Dämpfen speiübel wurde und er vom Magengrimmen ganz krumm ging. In einer Tonschale beobachtete er den Lauf des Quecksilbers, sah, wie es an den Wänden abperlte, sich Tropfen bildeten, die flink über den Ton huschten, und wenn sie aufeinanderstießen wieder eins wurden. Und er überlegte fieberhaft, ob er damals in Dippels Laboratorium irgend etwas gesehen hatte, was ihm weiterhelfen konnte, aber er sah dann nur den Blick des Straßenhundes, der auf die Tortur wartete.
Vom Apotheker bekam er Silber und Gold in kleinen Mengen zugeteilt. Er schmolz es immer wieder, ließ es erstarren und versuchte sich in die Metalle hineinzufühlen. Er wollte ihre Natur verstehen und ihr Geheimnis in sich aufnehmen. Einmal probierte Lips sogar einen kleinen Schluck Quecksilber, spuckte es aber sofort wieder aus. Der strenge metallene Geschmack blieb über Stunden im Mund und zog große Mengen Speichel. Bald darauf bekam er einen schwarzen Saum am Zahnfleisch, das sich eitrig entzündete. Und manchmal, wenn er etwas mutlos war, musste er an die Frage des Vaters denken, warum Böttger nicht einfach die Probe wiederholt hatte.
Pfarrer Porstmann kam fast jeden Abend kurz hinunter und erkundigte sich nach dem Fortgang der Versuche. Manchmal sprach er ein Gebet mit Lips oder erzählte ein Gleichnis aus der Bibel und legte die Gottesworte dann so aus, dass sie Lips Mut machen sollten. »Und sorge dich nicht wegen deinem Vater«, sagte Pfarrer Porstmann. »Du hast dich von deinem vorherigen Leben abgewandt und alles sündige Leben hinter dir gelassen. Gott wollte dich prüfen.«
Nein, dachte Lips, wenn er den Pfarrer ansah, Dippel hatte diesem großes Unrecht getan, als er ihn einen fanaticus nannte.
An manchen Tagen vertrug sein Magen nur Milch, und er ging zwischendurch hinaus auf den Wochenmarkt, wo eine junge Frau einen kleinen Scharren mit Milch und Käse hatte. Lips stand dann neben dem Scharren, trank in kleinen Schlucken und beobachtete die Milchfrau, wie sie mit ernster Miene die Milch abfüllte und sich dabei auf die Lippe biss, damit sie nicht über den Eichstrich schöpfte. Die Hökerin vom Nachbarstand, die unentwegt ihre Äpfel an ihrem Rock blankrieb, sprach die Milchfrau einmal mit Anna an. Lips hörte den Namen, und einen Augenblick stach es widerwillig in ihm. Während er an seinem Krug nippte, musterte er die
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