Der Goldkocher
Milchfrau. Nein, sagte er sich, sie hatte gar keine Ähnlichkeit mit Anna! Ihre Blicke trafen sich. Sie sah scheu weg und ordnete die Auslage, obwohl alles fein in Reihe lag. Die Milchfrau war auch ganz flachbrüstig, hatte auch nicht dieses volle, schwarze Haar und dieses freie, unverstellte Naturell wie Anna – wie sie es vor dem Überfall gehabt hatte.
39
Zwei Tage hintereinander hatte Lips an einer Tinktur herumprobiert, die auch ein sattes Rot bekam. Dann wollte er sie zu Pulver trockenkochen und setzte etwas Mehl und Arsenik hinzu, worauf die Farbe verlorenging. Betrübt stocherte er in der blassen, verklumpten Masse herum. Plötzlich meinte er über sich in der Bibliothek ein Schurren zu hören. ›Nein, was geht's mich denn an!‹, sagte er sich. ›Soll die Hure doch machen, was sie will!‹
Da! Wieder dieses Schurren! Vorsichtig öffnete er die Tür zum Aufgang und schlich ein paar Stufen hoch. Alles war ruhig. Lips schlich zurück und setzte sich wieder an den Tisch. Er griff nach einem Buch, ihm war grillig im Kopf, er konnte sich nicht recht besinnen und las wahllos da und dort, ohne den Sinn zu erfassen. Da war es wieder! Es musste doch jemand oben sein! Er sprang auf und steckte die Rohre des Destillierapparates zusammen. In der Hektik fiel ein Rohr scheppernd auf den Boden. Rasch schaufelte er die Glut aus dem Windofen in einen Wassereimer und legte ein paar Lumpen auf die heißen Steine, dann schob er das Rohr in den Kamin.
»Gottes Wege sind oftmals schwer für uns zu verstehen«, war die Stimme von Pfarrer Porstmann zu hören. »Der Mensch schaut zum Himmel auf und fragt sich, warum er das alles auf Erden erdulden soll. Gott legt uns Leid auf, um uns zu prüfen, lieber Schwiegervater. Gerade in unserer Geduld prüft er uns.«
»Ich hab aber keine Geduld mehr! Ich will einen Sohn, solange ich lebe!«, sagte die Stimme des Apothekers aufgebracht. Sie mussten beide am Kamin sitzen, so deutlich waren die Stimmen zu hören.
»Der Sühnetermin, den du vermittelt hast, ist auch ungenutzt verstrichen. Was soll ich denn noch machen? Das Klistier gegen hysterische Anfälle hat sie gleich in den Nachttopf gespritzt. Sie lässt sich immer noch nicht anrühren! Hält sich das Kruzifix vor den Unterleib und schreit gleich rum: Die Anna, die hätte ihren Schoß verhext! Dabei hat sie mir doch den ersten Krüppel geboren, bevor Anna ins Haus gekommen ist. Und immer dieser Singsang! Ich halt es nicht mehr aus!«
»Es ist ihre Sehnsucht nach Gott!«, sagte Pfarrer Porstmann. »Hab noch etwas Geduld mit ihr, lieber Schwiegervater.«
»Ja, ich weiß, ich sollte mich zügeln. Aber jeder Mann hat die Begierde, sein Geschlecht und sein Andenken in Nachkommen fortzupflanzen. Und zwar beizeiten! Auch das Vermögen soll doch in der Familie erhalten bleiben! Auch wenn wir den Stein der Weisen finden sollten und mir das Leben dadurch verlängert wird. Mögen es zwanzig, vielleicht vierzig Jahre sein, die durch den Stein gewonnen werden, aber ob er einem alten Mann wieder die Kraft in die Lenden zurückgibt, darüber habe ich noch nie etwas gehört.«
»Der Stein der Weisen soll wie ein Jungbrunnen wirken, wenn er in guter Quantität getrunken wird.«
»Ich will aber nicht länger warten! Sag doch selbst: Ist es denn nicht dem Gesetz der Natur zuwider, wenn der Mann Brunft leidet und seinen Samen anderweitig verschwendet! Ein Auftritt folgt auf den anderen! Nein, das Eheweib muss ihrem Mann den regelmäßigen Abfluss des Samens zugestehen. Sie muss den Beischlaf dulden, sonst wird der Mann doch rasend. Sprich du doch noch einmal mit meinem Weib. Auf dich wird sie hören, sie vertraut dir!«
»Ich werde es mit Gottes Hilfe versuchen, sie umzustimmen.«
»Ich danke dir. Weißt du, der Tod von Kunkel geht mir seit Tagen nicht mehr aus dem Sinn!«
»Ja, dass er auch so ein bitteres Ende finden musste! Selbst die Kleidung haben sie ihm geraubt!«
Lips horchte auf. Das hatte er nicht gewusst! Kunkel war also seit Tagen tot. Pfarrer Porstmann hatte nichts davon erzählt, obwohl er fast jeden Abend hinunter ins Laboratorium kam.
»Unter uns«, sagte der Apotheker. »Es wurde mit ihm in letzter Zeit immer unerträglicher. Der Geifer floss ihm aus dem Maul, wenn er von seinem Rubinglas verschenkte! Ich hab's mit eigenen Augen gesehen! Er hat die Bruchstücke immer so hingehalten, dass die Mägde danach schnappen mussten. Besonders die Anna hat ihn immer angegeilt, und er hat sie immer betatschen wollen. Aber das ist ja
Weitere Kostenlose Bücher