Der Goldkocher
eingeschnürt wurde. Arme und Füße waren ganz unbeweglich. Sie warfen ihn neben die Mutter, ein Peitschenknall, »Hooh … hopp!«, dann schwankte der Wagen los.
Lips kam kurz zu Sinnen, als sie ihn unter einem Baum abluden. Schemenhaft sah er noch, wie der Wagen rasch umdrehte und davonfuhr. Lips schaukelte sich auf die Seite, legte sein glühendes Gesicht in den Schnee und leckte davon. In der Ferne meinte er Häuser zu erkennen. Nein, er durfte nicht einschlafen, sonst würde er erfrieren. Lips fingerte nach den Enden des Strickes und bäumte sich gegen die Schnürung, da hörte er das Schlagen einer Glocke. Die Kirche musste ganz in der Nähe sein. Er hörte dem Läuten zu und sagte sich, dass sie nun irgendjemand finden würde, der ein Erbarmen mit ihnen hatte. Nur nicht einschlafen. Es schmerzte, wie er den Speichel schluckte, und er wollte etwas rufen, aber seine Stimme versagte. Dann verlor er das Bewusstsein.
Irgendwann hörte er ganz entfernt Stimmen.
»Schnell!«
»Mach schon!«
Er wurde neben die Mutter auf einen Wagen geworfen und in eine Scheune gefahren. Dort ließ man sie so liegen, wie sie in das Stroh eingezwängt waren. Die Nacht war sternenklar, als die Fahrt ins nächste Dorf ging. Sein wehrloser Körper wurde hin und her geworfen. Einmal öffnete Lips die Augen. Die Sterne tanzten wild am Himmel, stießen mit anderen zusammen und zogen helle, flirrende Streifen hinter sich her. Später rissen ihn Hände aus seinem Taumel, und er wurde neben der Mutter vor einem Haus fallen gelassen. Ihre Köpfe legte jemand hoch auf die Türschwelle, bevor er weglief. Irgendwann spürte er, wie er weggetragen wurde. Noch in der gleichen Nacht wurden sie wieder auf einen Karren geladen und in ein anderes Dorf gefahren. Ganz entfernt spürte er, wie ihm jemand mit Schnee das Gesicht abrieb, dann mit der flachen Hand auf die Wangen schlug. Einige Schatten standen um sie herum, die hektisch, gedämpft flüsterten.
»Das Weibsstück ist tot?«
»Weiß nicht.«
»Und der Junge?«
»Der? Ist nicht mehr viel los mit dem!«
»Wohin jetzt mit denen?«
»Macht 'ne Krüppelfuhre. Nach Kossin. Schnell, braucht niemand sonst was mitkriegen.«
Hände zogen sie fort, dann schaukelte der Karren davon. Vor der Haustür des Bauern Gadegast in Kossin wurden sie abgeworfen. Der Karren war schon wieder außer Sicht, da kam einer zurückgelaufen, schlug mit der Faust ein paarmal kräftig gegen die Tür und lief dann weg. Nach einiger Zeit wurde er in eine Scheune getragen und neben die erstarrte Mutter gelegt.
»Tot!«
»Auch der Junge?«
»Sieht so aus, Bauer.«
»Leise doch! Möchte wissen, wer uns die beiden aufgebrockt hat!«
»Das werden die aus Holzendorf gewesen sein.«
»Dann fahren wir denen die Kadaver zurück! Nachher müssen wir noch das Grab ausheben und den Sarg bezahlen!«
»Ist auch 'ne Schinderei bei dem Frostboden!«
»Und ruiniert einem noch die Hacke!«
Dann verschwanden die Schatten, und es war ruhig. Irgendwann spürte Lips, wie sein Gesicht abgetastet wurde, und der Strick, mit dem das Stroh um ihn gebunden worden war, wurde losgeknüpft. Lips erschrak, als Hände flink seine Kleidung durchsuchten und seinen Leib abtasteten.
»Der ist ja noch warm!«, sagte eine gedämpfte Stimme.
Lips konnte nur röcheln. »Herrgott im Himmel, der Kerl lebt ja noch.«
Lips spürte noch, wie ihn jemand wegzog, dann blieben ihm die Sinne weg.
3
Als Lips aufwachte, war ein Halbdunkel um ihn, und er sah nur undeutlich einen Schatten. Er roch Heu und spürte, wie ihm jemand die Beine rieb.
»Stinkt wie ein Schweinefurz, der Kerl!«, flüsterte ganz nahe eine Männerstimme mit fauligem Atem. »Den riecht man, bevor man ihn sieht! Na also, er bewegt sich! Aber sei ja ruhig! Du bist in Sicherheit, mein Sohn. Hab eine Höhle ins Heu gegraben.« Lips sah den Umriss eines Mannes, der sich zu ihm hinunterbeugte und ihm eine Flasche an den Mund setzte. »Jetzt trink.«
Lips roch den Branntwein, es ekelte ihn, und er versuchte sich gegen den Brechreiz aufzubäumen.
»Das sind keine Christen hier!«, sagte der Mann und drückte die Flasche fest an Lips' Mund. »Höllenpack, verfluchtes! Nun mach schon den Mund auf.«
Lips dachte, der Branntwein würde ihm den Hals versengen. Er hob die kraftlosen Arme und versuchte die Flasche wegzustoßen. Plötzlich presste ihm der Mann eine Hand auf den Mund. »Ruhig jetzt!«
Gedämpft waren Stimmen zu hören, die näher kamen.
»Guck doch selber, Bauer. Der Junge ist
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