Der Goldkocher
runtergefallen ist.«
»Wie ist denn das passiert?«, fragte Lips. »Hat sie sich was getan?«
»Gezuckt hat die nur noch!«, drängte sich der Kutscher vor. »Am ganzen Leib. Kam ganz plötzlich. Die war gar nicht mehr bei Sinnen!«
»Warst du denn dabei?«, fragte Lips.
»Nee, der Pfarrer hat die gefunden!«, sagte der Viehknecht. »Ein paar Mal am Tag ist er jetzt oben bei ihr und betet mit der. Seit die Banditen die rangenomm… ehm … meine, seit dem Überfall, da ist die nicht mehr richtig im Kopf.« Er bekreuzigte sich. »Der Hausknecht meint, die Anna hat's böse Wesen abgekriegt von den Banditen, die sie…«
»Blödsinn!«, sagte der Kutscher. »Die fallende Sucht wird die haben. Die hatte doch Schaum vor ihrem Schandmaul! So was hab ich schon mal gesehen! Das ist die fallende Sucht, kannst du mir glauben!«
»Und wie die gestern geschrien hat!«, flüsterte der Viehknecht. »Wie 'ne Abgestochene! Wie irre hat die geschrien! Das war doch nicht normal!«
»Sag ich ja! Ist die fallende Sucht!«
»Da schreit man doch nicht!«, sagte der Viehknecht und flüsterte dann: »Ich sag euch, warum der Pfarrer jetzt ständig bei der da oben in der Kammer ist: Das böse Wesen hat die! Er wird's ihr austreiben!«
»Quatsch!« Der Kutscher drehte ihm eine Nase.
»Hat der Hausknecht doch auch gesagt! Und warum nimmt der Pfarrer immer die Bibel mit hoch! Und geweihtes Wasser!«
»Das ist doch kein Papist!«
»Glaub's nur! Vom Satan ist sie besessen! Da braucht man geweihtes Wasser. Lips, was meinst du?«
Lips zuckte mit den Schultern und sah hinüber zum Tor, wo schon die ersten Bettler anstanden. Der Schnurrjude Levi stellte sich gerade dazu und sah zu ihnen hinüber.
»Da, das ist er!«, rief auf einmal jemand aus der Menge und wies aufgeregt auf Lips. Die anderen drängten vor ans Tor. »Das ist der Goldmacher!«
Der Viehknecht nahm seinen Hut ab und kratzte sich nervös den Schädel. »Dann stimmt's also doch?« Er sah Lips abschätzend an. »Dann hast du neulich wirklich Gold gekocht? Ich wollt's ja nicht glauben!«
»Was redest du da!«, sagte Lips ganz verdattert. »Halt dein Maul!«
Als er über den Hof ging, spürte er die Blicke in seinem Rücken.
»Da!«, rief jemand vom Tor. »Der da hinten! Das muss der Goldkocher sein!«
Lips stürzte ins Laboratorium und versuchte die hitzigen Gedanken zu ordnen. Irgend jemand hatte seine Goldprobe verraten! Und er musste immerzu an Anna denken, die sich in ihrer Kammer eingeschlossen hatte, und dann fielen ihm die Worte von Frieder ein, er und der Vater hätten Anna bei dem Einbruch nichts angetan. Immer wieder stellte er sich ans Fenster und spähte hinaus. Draußen standen einige Gaffer. Es waren noch mehr geworden. Ihm war ganz hölzern zumute. Er musste sich irgendwie beschäftigen, räumte auf und wog für den neuen Versuch die Materialien ab. Es fehlten fixer Salpeter und Arsenicum, aber er wollte nicht hoch zur Offizin gehen und irgendwelche dummen Fragen beantworten. Dann reinigte er den Windofen. Die Holzkohle, die er noch gebrauchen konnte, legte er zur Seite, und bei den Arbeiten erinnerte er sich daran, wie er damals am Tag vor dem Einbruch Pfarrer Porstmann gefragt hatte, ob er dem Gottesdienst wegen einer Probe fernbleiben dürfe. Pfarrer Porstmann hatte es ihm erlaubt und sagte nebenbei – Lips erinnerte sich genau –, es würde ohnehin der zweite Prediger sprechen.
Lips bekam immer wieder das Bild vor Augen, wie er sonntags manchmal am Nebeneingang zur Sakristei der Nikolai-Kirche gewartet hatte, bis Pfarrer Porstmann heraustrat, und sie dann gemeinsam zur Apotheke hinübergegangen waren. Lips versuchte sich zu bezwingen, sträubte sich und sagte laut vor sich hin: »Der Frieder ist ein Lügenmaul! Der will mich aufstacheln wie Dippel damals! Ich lass mich doch nicht aufstacheln!«
Plötzlich klopfte es am Fenster. Er hörte weg, da klopfte es wieder. Lips drehte sich mit dem Rücken zum Fenster, aber es klopfte jetzt drängender, dann noch einmal. Es hörte nicht auf. Er nahm eine Talgfunzel, stellte sich auf den Schemel und öffnete. Vor dem Fenster hockte der Schnurrjude Levi und stellte sich so, als kramte er nach irgend etwas in seinem Wandersack.
»Was ist denn?«, fragte Lips leise.
»Eine Nachricht«, sagte der Schnurrjude hastig und ließ einen Brief hinunterfallen. »Und gnädiger Herr, ich muss die Antwort gleich wieder mitnehmen! Ich warte an der Jungfernbrücke.«
Schon war der Schnurrjude verschwunden. Lips reckte sich
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