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Der Goldkocher

Der Goldkocher

Titel: Der Goldkocher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Adloff
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herausgestreckt.
    »Nach einiger Zeit, aber nicht alle. Die, die sich selbst gemordet haben, die bleiben in der Hölle. Bei den andern kommt's drauf an. Je nachdem, ob man auch Gutes getan hat.« Der Soldat lachte halb im Scherz auf. »Deswegen ist mir die Sache mit dir eigentlich ganz gelegen gekommen.«
    »Du meinst, dass du wegen mir in den Himmel kommst?«
    »Wahrscheinlich nicht gleich, mal sehen. Das kommt ganz aufs Sündenregister an. Hör mal, ich hab kein Brot mehr. Ich muss auch weiter, weiß nicht, wie es zu Hause bestellt ist. Was wirst du machen?«
    »Weiß nicht.«
    »Jetzt guck doch nicht so trübe. Hab doch Vertrauen in den Herrgott. Du gehst am besten in eine große Stadt. Da fällt immer mal was ab. Berlin ist am nächsten. Was meinst du, was da hintenrum aus der Hofküche rausgetragen wird: Pasteten, Braten, helles Brot, so weiß wie Schnee – alles, was die hohen Herrschaften nicht auffressen.«
    Der Soldat ließ Lips noch einmal alle frommen Verse heruntersagen, die er gelernt hatte, und lobte ihn kopfschüttelnd für sein außerordentliches Gedächtnis, dann überließ er Lips als letzte gute Tat eine Flasche voll Milch und eine Hand voll Haferkörner, umarmte ihn mit großer Geste und gab ihm einen Bruderkuss auf beide Wangen.
    Lips blieb noch einen Tag länger in der Höhle. Unten in der Scheune fand er einen Haufen rote Rüben. Er steckte so viele ein, wie er tragen konnte, dann stahl er sich aus der Scheune.
    Nach Berlin also.

4
    Manchmal war Lips ganz mutlos, wenn er alleine durch den nassen Schnee stapfte. Er fror, kaute die Haferkörner und holzigen Rüben gegen den Hunger und dachte oft, dass es besser ein Ende mit ihm hatte, er einfach nicht mehr aufwachte und der Mutter in den Tod folgte – wohin auch immer. Schlimmer konnte es in der Hölle auch nicht sein!
    Es dauerte einige Tage, bis er sich nach Berlin durchgeschlagen hatte. Die Straßen vor der Stadt waren vom Schneeregen aufgeweicht und tief durchfurcht von den vielen Kutschen und Karren, die hin und her fuhren. Die Stadt musste riesig sein, wie er an den Kirchtürmen und rauchenden Schornsteinen ausmachte. Er folgte den Fuhrwerken und streifte lange durch die Gassen der Vorstadt. Die Menschen eilten bei dem nasskalten Wetter in die Häuser. An einer Kirche stellte er sich beim Glockenschlagen zu Bettlern, die die herauskommenden Kirchgänger um ein Almosen bedrängten. Er wollte auch seine Hand ausstrecken, aber die Bettler boxten und schubsten ihn zur Seite. Lips streifte weiter und wurde vom Geruch einer Garküche angezogen. Er kniete am Hauseingang und hielt mit demütig gesenktem Kopf den Herauskommenden die Hand hin. Eine Frau brach auch einmal etwas von einem Brot ab, legte es ihm in die Hand, raffte ihr Kleid und lief schnell weiter, als würde sie sich für den kleinen Brotkanten schämen. Kurz darauf stürzte ein Mann mit einem Prügel heraus und schrie ihm nach, er solle sich ja nicht wieder blicken lassen.
    Lips näherte sich dem Stadtwall. In der Vorstadt stand ein Haus dicht gegen das andere, und die Gassen waren ganz eng, aber hier auf dem Ring vor der gewaltigen Wallanlage wurde es auf einmal ganz weitläufig und kahl, sodass die Soldaten oben vom Wall alles gut beobachten konnten. Lips ging an den wartenden Fuhrwerken vorbei, die steile Auffahrt hoch bis auf den Außenring, der die Höhe eines doppelstöckigen Hauses haben mochte. Er kam auf einen Vorplatz, der mit hohen Palisaden umzäumt war. Vor einer Zugbrücke, die über den breiten Wassergraben ging, war ein Schlagbaum mit einem Schilderhäuschen daneben, worin ein Soldat mit einem geschulterten Gewehr stand. Ein zweiter Soldat ging vor dem Schlagbaum auf und ab und dirigierte die Karren, sodass eine Durchfahrt für die Kutschen blieb. Die Fußreisenden wurden angehalten, und Lips beobachtete, wie Pässe abgefordert wurden. Mäntel mussten aufgeschlagen werden, und die Reisesäcke wurden durchwühlt.
    Sobald drüben auf der anderen Seite des Wassergrabens – vor dem eigentlichen Stadttor – wieder Platz war, ließ der Soldat den Schlagbaum hoch, und einige Fuhrwerke durften über die Zugbrücke passieren. Einige Wagen, die Holz geladen hatten, fuhren hinter einer Horde Schweine her und wurden auf der anderen Seite vor dem Stadttor angehalten. Lips sah, wie Torwächter um die Wagen herumgingen und in die Ladung spähten, dann ließen sie die Kutscher das Holz umschichten und sahen ihnen dabei auf die Finger.
    Das Stadttor war aus großen Quadersteinen

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